Im Halbfinale zwischen Italien und Deutschland wird es besonders auf Buffon und Neuer ankommen. Der Gewinner wird wohl Welttorhüter des Jahres

Danzig/Warschau. Ein Treffen vor dem Treffen haben Gianluigi Buffon und Manuel Neuer gestern Abend nur knapp verpasst. Wenige Minuten nachdem Neuer und die deutschen Nationalspieler den Rasen des Warschauer Nationalstadions im Anschluss an ihr Abschlusstraining verließen, betraten Buffon und der Rest der Squadra Azzurra pünktlich um 20 Uhr den Platz. Die Hände, auf die es beim Halbfinale zwischen Deutschland und Italien so sehr ankommt, werden sie sich wohl erst nach dem heutigen Spiel (20.45 Uhr, ARD und im Liveticker bei abendblatt.de) schütteln. Aber nur einer von beiden, das steht schon jetzt fest, wird nach diesem Duell als Held gefeiert.

Wenn sich zwei Weltklassemannschaften wie Deutschland und Italien vor einem entscheidenden Spiel gegenüberstehen, werden oft und gerne die Stars verglichen, die Tore der Stürmer aufgerechnet und analysiert, welcher Mittelfeldregisseur der bessere ist. Das heutige Duell ist aber viel mehr ein Duell zweier Toreverhinderer. Es ist das Duell der beiden besten Torhüter der Welt: Neuer, 888 203 Fans bei Facebook, gegen Buffon, 1 366 988 Online-Anhänger - noch nie wurde im Vorfeld eines Halbfinales bei einer Europameisterschaft so viel über die Keeper wie diesmal gesprochen.

"Beide sind absolute Weltklassetorhüter, die eine ganz andere Ausstrahlung und ein anderes Standing als die restlichen Keeper besitzen", sagt Bundestrainer Joachim Löw, der Buffon zwar als erfahrener beschreibt, fußballerisch aber Neuer klar im Vorteil sieht.

In puncto Erfahrung kann "San Gigi" tatsächlich niemand etwas vormachen. Der 34-Jährige spielte 118-mal für Italien, feierte 1997 sein Nationalmannschaftsdebüt. Der 26-jährige Neuer, der damals elf Jahre alt war, kam dagegen erst vor drei Jahren zu seinem ersten Länderspiel, mittlerweile hat er 30-mal für Deutschland gespielt. "Ich mag mich da nicht auf eine Reihenfolge zwischen den beiden festlegen. Im direkten Duell wird die Tagesform entscheiden", sagt DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke, der 1996 nach einem großartigen Spiel gegen Italien in der Vorrunde mit Deutschland zuletzt Europameister wurde.

Auf dem Platz sind Neuer und Buffon nur schwer zu überwinden, abseits des Platzes gelten dagegen beide als offen und auskunftsfreudig, im Fall von Buffon vielleicht zu auskunftsfreudig. So sorgte der Keeper von Juventus Turin kurz vor der EM für einen echten Skandal, als er mitten in den Debatten über den erneuten Wettskandal in Italien ernsthaft zu Protokoll gab, gegen Saisonende seien Absprachen für ein Remis nichts Außergewöhnliches: "Besser zwei Verletze als ein Toter."

Es ist nicht der erste Fehlgriff Buffons außerhalb des Strafraums. Der "Portiere", zu deutsch: Torwartgigant, gilt in der Heimat vor allem als gigantischer Wetter. Bereits vor der WM 2006 musste er eine Zockeraffäre klären, in diesem Sommer geht es um Zahlungen an ein Wettbüro in Parma in Höhe von 1,6 Millionen Euro. Angriffe der Justiz und der Medien hat Buffon aber bislang ebenso wirkungsvoll abgewehrt wie die Torschüsse der gegnerischen Stürmer. Und solange er auf dem Feld seine Leistung bringt, so lange dürfte er wohl auch abseits des Feldes verschont bleiben. So ist Italien.

In Deutschland ist das vielleicht anders, in Bayern ist das ganz sicher anders. Dort spielt Neuer seit dieser Saison. Und obwohl es überhaupt keinen Zweifel an seiner Klasse gibt, wird Deutschlands Nummer eins in München bei bestimmten Fangruppen nur geduldet, nicht geliebt. Zwar hat Neuer nie gewettet oder ist mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ein Vergehen hat er aber aus Sicht mancher Anhänger des Rekordmeisters aber trotzdem begangen: Er kommt von Schalke und war überzeugter Schalke-Ultra. Dabei hat er in dieser Spielzeit die wenigsten Gegentore aller Bundesligatorhüter kassiert und in insgesamt 50 Pflichtspielen 29-mal zu null gespielt. Ein echter Bayer ist er deswegen aber noch nicht. Das wäre beinahe mal Buffon geworden. Mehrfach haben die Münchner bei ihm angefragt, ein Transfer kam aber letztendlich nie zustande. Statistisch gesehen steht Buffon seinem zwei Zentimeter größeren Kontrahenten jedenfalls in nichts nach. Der Routinier hat in 44 Pflichtspielen zwar nur 24-mal zu null gespielt, hat insgesamt aber nur 21 Gegentore kassiert. Auch seinem Ruf als Elfmeterkiller konnte der 1,91 Meter große Italiener einmal mehr im Viertelfinale beim Elfmeterschießen gegen England bestätigen. Was aber kaum einer weiß: Sollte es tatsächlich auch heute Abend zu einem Elfmeterschießen kommen, hat Deutschland den nervenstärkeren Torwart auf seiner Seite. Seit Mai 2009 wurde Neuer 20-mal vom Punkt aus geprüft, nur zwölf von den Versuchen gingen ins Tor. Von insgesamt elf Elfmetern seit Dezember 2009 konnte Buffon dagegen nur zwei halten, die Parade am vergangenen Sonntag gegen Englands Ashley Cole miteingerechnet.

Wer auch immer von den beiden am heutigen Abend als Sieger vom Platz geht, darf sich nicht nur auf das EM-Finale freuen. Neben Spaniens Iker Casillas dürfte auch der heutige Sieger automatisch Favorit für die Wahl des Welttorhüters 2012 sein. Verdient hätten es beide, gewinnen kann aber nur einer. "Manuel kann eine wichtige Torwartära im internationalen Fußball begründen", lobt Buffon sein Gegenüber. Seine eigene Ära dürfte er ohnehin demnächst beenden - nur noch nicht heute Abend.

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller schreibt täglich aus dem DFB-Quartier einen Brief nach Hamburg www.abendblatt.de/schillersbriefe