Die Biathlon-WM in Ruhpolding startet heute mit der Mixedstaffel. Magdalena Neuner hofft nicht nur in dieser Disziplin auf den Titel

Ruhpolding. Zugegeben: Ruhpolding hat nicht die Weltläufigkeit von Vancouver oder Turin, aber was sind schon diese Austragungsorte Olympischer Spiele gegen Oberhof, Antholz, Hochfilzen und eben Ruhpolding, die verträumt-rustikalen Hochburgen des Winterzweikampfes. Hier fühlt sich die Biathlonfamilie heimisch, hier blüht sie auf, wenn wie jetzt Weltmeisterschaften anstehen. "Ruhpolding wird definitiv das Größte, was Biathlon bisher gesehen hat. Ich freue mich wahnsinnig. So etwas erlebst du nur einmal in deiner Karriere", frohlockt Christoph Sumann, ein Österreicher wohlgemerkt, der 2010 zweimal Silber gewann.

Die Winterspiele halten viele Skijäger für heillos überfrachtet. Magdalena Neuner schilderte eindringlich, wie enttäuscht sie von dem grellen Zirkus gewesen sei. Sie fühlte sich nicht wie eine Heldin, sondern wie eine Getriebene. Das Städtchen Ruhpolding mit seiner aufwendig renovierten Chiemgau-Arena, in der bis zum 11. März insgesamt über 200 000 Zuschauer erwartet werden, muss da als Gegenentwurf gelten. Neuner, 25, hätte gern gesehen, wie die Olympischen Winterspiele 2018 in ihre Heimat vergeben worden wären, da hätte sie sich sogar einen Start vorstellen können. Nun hat sie das gefühlte Karriereende mit ihrer Heim-WM verbunden. Die Titelkämpfe werden so etwas wie ihre persönlichen Winterspiele. Übrigens auch für Sumann, 36, der seine Karriere ebenfalls beenden wird.

Neuner hat sich das fast irrwitzige Ziel gesteckt, in jeder der sechs Disziplinen eine Medaille zu gewinnen. Kati Wilhelm, ihre einstige Nebenbuhlerin, merkt an, dass sie sich solche Ziele stecken müsse, um sich überhaupt zu motivieren. Neuner formuliert es so: "Warum sollte ich tiefstapeln. Es ist wichtig, dass du dir ganz konkrete Ziele setzt und diese dann auch erfüllen kannst."

Teils wird sie auf ihre Teamkollegen angewiesen sein. In der Mixedstaffel heute (15.30 Uhr, ZDF live) an der Seite von Olympiasiegerin Andrea Henkel, Sprintweltmeister Arnd Peiffer und dem überraschend starken Andreas Birnbacher ist ihr nicht bange. "Da haben wir Superchancen, Gold zu gewinnen." Die drei Skijägerinnen vom Deutschen Skiverband (DSV), die am vorletzten Wettkampftag mit in die Loipe gehen, dürften es dagegen schwerer haben, der Medaillensammlerin im Staffelrennen der Frauen einen letzten großen Dienst zu erweisen. Die einstige Domäne im DSV-Lager hat viel vom alten Glanz verloren.

Neuner hat alle Zweifler des frühen Rücktritts charmant entwaffnet. Meistens mit einem Lächeln. Was soll sie auch demnächst für sportliche Ziele ausgeben? Dass sie ihren jungen Staffelkollegen Nachhilfe gibt und beim nächsten Großereignis sechs Goldmedaillen gewinnt? Wie einst Tennisidol Steffi Graf hat sie alle sportlichen Ziele erreicht. Einzig erstrebenswert ist für sie nun der Rückzug ins Private: eine Familie gründen, ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, Wohl stiften.

Wenn Neuner am Ende dieser Saison ihre Sachen packt, wird eine Sporttasche nicht reichen. Wohin mit den reichen Schätzen, die von ihrer Karriere bleiben? Ihr Reisebeutel wird nicht groß genug sein, all die Pokale, Erfahrungen, die Mysterien eines solchen Biathletenlebens zu fassen. In dieser Saison hat sie noch einmal Denkwürdiges geleistet.

Sie gab Anfang Dezember in Hochfilzen ihren Rücktritt bekannt und siegte auf Anhieb danach. Beim Weltcup in Oberhof stürzte sie mit einer Fehlschussserie die Staffel ins Elend, zwei Tage später rehabilitierte sie sich mit einem formidablen Triumph.

In Nove Mesto feuerte sie viermal auf die falschen Scheiben und ließ auf ihrer Lieblingsstrecke in Antholz, wo 2007 Neuners Stern mit dreimal WM-Gold aufgegangen war, wiederum einen ungefährdeten Sprintsieg folgen. Sie kann das wie keine andere, die "Strahlefrau" (Michael Greis) und den frechen Puck auf der großen Bühne des Sports zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzufügen. Vor lauter Elan ist ihr alles zuzutrauen, auch dass sie etwas ganz anderes ins Visier nimmt als die schwarzen Zielscheiben. Es wird spannend zu sehen sein, wie sie die Wehmut erträgt. Auch wenn sie ihr letztes Rennen voraussichtlich erst Mitte März bestreiten wird, bildet Ruhpolding eine Zäsur. Es reduziert sich alles von der letzten WM auf das letzte Rennen, auf den letzten Skatingschritt, den letzten Stockeinsatz, den letzten Sturz in den Schnee im Zielraum. Dann wird sie vielleicht die Gewissheit haben, die alle großen Sportler irgendwann überkommt: dass sie nie mehr etwas so gut können wird wie ihren Sport.

Bei ihr sind sich Trainer, Kollegen und Wegbegleiter einig. "Lena wird nicht mehr zurückkommen", sagt Cheftrainer Uwe Müssiggang. Die Zeit macht die Kleinen groß und die Großen irgendwann wieder klein. Magdalena Neuner ist auch hier die Ausnahme. Ein wenig überrascht ist sie über sich selbst. "Ich habe es mir ein bisschen aufregender vorgestellt", sagte sie nach ihrem ersten Training auf den WM-Loipen. "Aber Gott sei Dank war es wie immer."

Bilder der Biathlon-Asse unter abendblatt.de/biathlon2012