Am Dienstag sprach der 73-Jährige erstmals zur Mannschaft. Die folgende Einheit leiteten aber seine Assistenten Tretschok und Covic.

Berlin. Im dichten Schneegestöber durchschritt Otto Rehhagel mit den Händen auf dem Rücken wie ein Feldherr den Trainingsplatz. Hier eine knackige Anweisung an einen Assistenten, da ein aufmunternder Klaps für einen Spieler. Beim Trainingsspiel pfeift der Altmeister seine Profis heran und gestikuliert wild mit den Armen. „König Otto“ wirkte bei seinem ersten Training als neuer Coach von Hertha BSC, als wäre er nie weggewesen. Selbst Schnee und Kälte konnten dem 73-Jährigen nichts anhaben.

Bereits vor der rund 70 minütigen Einheit hatte der Trainer-Methusalem die abstiegstbedrohte Mannschaft in der Kabine mit einer leidenschaftlichen Ansprache für sich eingenommen. „Wenn Otto Rehhagel den Raum betritt, füllt er ihn aus. Er hat eine enorme Aura“, schwärmte Mittelfeldspieler Peter Niemeyer und verriet: „Er hat in der Kabine ein paar seiner Anekdoten erzählt. Er hat den Schalk im Nacken.“

Trotz des miserablen Wetters waren etwa 200 Hertha-Fans und mehrere Kamerateams zu Rehhagels Trainingspremiere gepilgert. „Otto, allet Jute!“, rief ihm ein Anhänger entgegen, ein anderer meinte: „Du packst dit!“

Als Rehhagel in seiner knielangen Daunenjacke beim Verlassen des Platzes von zahlreichen Fans und Journalisten belagert wurde, mussten ihm Sicherheitsleute den Weg zur Kabine bahnen. Einen Satz zu seinen ersten Eindrücken ließ sich der Hoffnungsträger nicht entlocken, auch in Zukunft wird er sich und die Mannschaft verstärkt von der Öffentlichkeit abschotten.

Die Ottokratie wird bei Hertha zum Berliner Gesetz

„Die drei Monate ist an nichts anderes mehr zu denken. Unnötige Kriegsschauplätze müssen alle außen vor bleiben“, hatte Rehhagel bereits bei seiner Vorstellung gesagt. Die Presseabteilung des Klubs änderte nun in Absprache mit dem Coach die Medienrichtlinien. Rehhagel steht den Journalisten nur noch bei den Pressekonferenzen vor dem Spiel, unmittelbar nach dem Spiel und nach dem Auslaufen zur Verfügung. Spieler-Interviews sind nur noch im Medienraum gestattet und alle Zitate müssen autorisiert werden.

Volle Konzentration auf den Klassenerhalt - diese unmissverständliche Warnung können die Profis zwischen den Zeilen herauslesen. Aus dem Spielerkreis dürfte aber eh kaum jemand gegen die Maßnahmen des „demokratischen Diktators“ aufbegehren. „Er ist eine absolute Persönlichkeit, ein sehr, sehr großer Trainer. Er hat eine unglaubliche Ausstrahlung“, sagte Torhüter Thomas Kraft.

Am trainingsfreien Montag hatte Rehhagel sein Trainerzimmer auf der Geschäftsstelle eingerichtet und sich bei jedem Mitarbeiter per Handschlag vorgestellt. Danach beriet er sich mit seinen Assistenten Rene Tretschok und Ante Covic. „Sie kennen die Mannschaft. Die jungen Kollegen können was von mir lernen, und ich kann was von ihnen lernen“, sagte Rehhagel.

Seine Trainerzeit in Berlin ist zwar auf 77 Tage begrenzt, doch möglicherweise bleibt der Essener dem Hauptstadtklub in einer anderen Funktion erhalten. „Wenn man mich um Hilfe bittet, könnte ich mir auch eine Rolle als sportlicher Berater vorstellen“, sagte Rehhagel der Bild-Zeitung.

Vorher will er jedoch im Spiel am Sonnabend bei Mitaufsteiger FC Augsburg Hertha nach sechs Pflichtspiel-Niederlagen in diesem Jahr wieder zu einem Erfolgserlebnis führen. Es wird das 821. Bundesligaspiel für den Rekordtrainer. (sid)