Der Internationale Sportgerichtshof Cas spricht den Tour-de-France-Sieger des Dopings schuldig. Ex-Radstar gesteht erstmals Kontakt zu Fuentes

Hamburg/Lausanne. Am Tag vor seinem "Glückstag" hat Jan Ullrich noch einen Einblick in sein Seelenleben gegeben. Die langen Jahre in der Isolation "haben sehr viel Substanz gekostet, das kann ich nicht leugnen", sagte der Radsportheld von einst am Mittwoch und gab sich einsichtig, wenngleich ohne konkret zu werden: "Ich habe viele Fehler gemacht in meinem Leben, und ich wurde dafür bestraft. Ich habe versucht, ein guter Mensch zu sein. Das ist es, was zählt."

Am Donnerstag nun, mehr als fünfeinhalb Jahre nach dem Anfang vom Ende des Daseins als Profi, erhielten er und seine Anwälte endlich das offizielle Urteil des Internationalen Sportgerichts Cas. Die drei Richter verurteilten Ullrich zu einer zweijährigen Wettkampfsperre bis Ende August 2013, zudem muss er 10 000 Schweizer Franken an den Radsport-Weltverband UCI zahlen, der seinen Fall vor den Cas gebracht und eine lebenslange Sperre gefordert hatte. Außerdem werden Ullrich sämtliche Platzierungen und Titel vom 1. Mai 2005 an aberkannt.

Die Cas-Richter sahen es als erwiesen an, dass Ullrich als Kunde des umstrittenen spanischen Dopingarztes und Blutpanschers Eufemiano Fuentes manipuliert hatte. Dass sie in ihrer 24-seitigen Urteilsbegründung verwundert feststellten, Ullrich habe im Kern formaljuristische Argumente zu seiner Verteidigung vorgebracht, anstatt sich konkret gegen Dopingvorwürfe zu äußern, spricht für sich.

Gestern Abend allerdings, knapp zwölf Stunden nach dem Urteil, meldete sich Ullrich dann doch zu Wort. Es war zwar (noch) nicht die erwartete Doping-Beichte. Aber immerhin gab er erstmals zu, Kontakt zu Fuentes gehabt zu haben. "Ich bestätige, dass ich Kontakt zu Fuentes hatte. Ich weiß, dass das ein großer Fehler war, den ich sehr bereue. Für dieses Verhalten möchte ich mich bei allen aufrichtig entschuldigen - es tut mir sehr leid", zitierte die "Bild"-Zeitung aus einer Erklärung des 38-Jährigen. Ullrich beschrieb darin auch den Druck, unter dem er stand: "Mit dem Sieg bei der Tour 1997 stand ich blitzartig im Fokus der Öffentlichkeit. Alle erwarteten Siege von mir. Der zweite Platz ist der erste Verlierer ..."

Mit der Urteilsverkündung ist nun ein Sportjustizmarathon abgeschlossen, dessen Ende Jan Ullrich zuletzt herbeigesehnt hatte. Mit der Sperre wird er gut leben können, das ließ er diese Woche wieder durchblicken.

National wie international wurde das abschließende Urteil gegen Ullrich mit Erleichterung aufgenommen, ganz nach dem Motto: Endlich ist es vorbei! "Das Cas-Urteil ist deutlich. Es hat gerade im Zusammenhang mit der Contador-Entscheidung abschreckende Signalwirkung", sagt Thomas Bach. Nicht nur der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes findet aber: "Es ist bedauerlich, dass Jan Ullrich nicht vorher die Chance ergriffen hat, von sich aus Klarheit zu schaffen. Wir hoffen auch in seinem eigenen Interesse, dass er zumindest jetzt einsichtig ist und sich entsprechend erklärt."

Die UCI enthielt sich zunächst einer inhaltlichen Stellungnahme, beauftragte aber ihre Anwälte mit einer Prüfung. Ihrer Argumentation, Ullrich sei aufgrund eines positiven Dopingbefundes aus dem Jahr 2002 Wiederholungstäter und damit für immer aus dem (Profi-)Verkehr zu ziehen, waren die Cas-Richter nicht gefolgt. Ullrich hatte seinerzeit als Rekonvaleszent betrunken zunächst nach einem Discobesuch seinen Porsche an einem Freiburger Fahrradständer ramponiert, in einer Urinprobe fanden Dopingfahnder dann kurz darauf Amphetamine. Der Gewinner der Tour de France 1997 wurde vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) daraufhin für ein halbes Jahr gesperrt.

Auch in der BDR-Zentrale ist man jetzt offensichtlich froh über das vorläufige Ende der leidigen Ullrich-Saga. Vizepräsident Udo Sprenger verkündete: "Wir konzentrieren unsere Kräfte nun voll auf die Zukunft des deutschen Radsports".

Inwieweit Ullrich selbst sich seiner unrühmlichen Vergangenheit stellen und sich rechtfertigen wird, bleibt die spannende Frage. Mehr noch als jene, wie er seine Zukunft zu gestalten gedenkt. Die wird ihm sein neues Management - die Agentur von Ex-Tennisprofi Charly Steeb - behutsam und im besten Falle klug ebnen. "Ich nehme an, die Sperre wird ihn nicht sehr bedrücken", mutmaßte am Donnerstag Jens Voigt, als Radprofi in Deutschland ähnlich populär wie einst Ullrich. Voigt rät: "Es liegt jetzt an Jan, sich zu äußern und das zu sagen, worauf die Fans warten."

Ob und inwieweit Ullrich seine Reputation in der Öffentlichkeit, die spätestens nach der Verurteilung fast komplett aufgebraucht ist, wiederherstellen kann, ist fraglich. Bis zuletzt hatte er sich immer wieder auf die falschen Berater verlassen und war auch noch bei seiner Darstellung geblieben, nichts Unrechtes angestellt zu haben, als längst offensichtlich war, welch unerlaubte Hilfsmittel die Radsportler über die Alpenpässe tragen. Sein Ruf ist so nachhaltig beschädigt, dass die Frage nicht lautet, wann er wiederhergestellt sein kann, sondern ob das überhaupt gelingen kann. Dies ist die Tragik, die dem Fall Jan Ullrich(s) innewohnt. Immerhin hat er, wie er beteuert, mit dem Kapitel Profiradsport abgeschlossen.

Seine psychischen Probleme, die er offen zugibt, hat der Familienvater inzwischen offensichtlich überwunden. Unterstützt von seiner Familie und seinem Management sucht der zweimalige "Sportler des Jahres" inzwischen vorsichtig vermehrt wieder den Weg in die Öffentlichkeit. Am vergangenen Wochenende zeigte er sich gemeinsam mit seiner Frau Sara beim "Ball des Sports".

Es spricht für einen schrägen Humor, dass Jan Ullrich am Tag vor dem Urteil noch in Bielefeld einen neuen Werbevertrag als Botschafter für den Haarwuchsmittelhersteller Alpecin vorstellte. Dessen Motto lautet nämlich "Doping für die Haare". Unabhängig vom Urteil will das Unternehmen an der Zusammenarbeit mit Ullrich festhalten, sagte Geschäftsführer Eduard Dörrenberg: "Es geht nicht immer nur bergauf, man kann auch mal fallen. Dann heißt es wieder aufzustehen."