Deutschlands beste Biathletin Magdalena Neuner ist auf Abschiedstour - es mangelt an deutschen Nachwuchstalenten.

Oberhof. Für die Dramaturgie ihrer Abschiedstournee hat Magdalena Neuner ein feines Händchen. Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt ist alles dabei. Einem so starken Weltcupauftakt wie noch nie in sechs Jahren mit zwei Siegen folgte in Oberhof ein grandioser Blackout in der Staffel, als bei der letzten Stehendprüfung sieben von acht Patronen das Ziel verfehlten. "Man kann es in einem Satz zusammenfassen: ich habe es verkackt", entfuhr es Neuner, nachdem sie sich erst mal vor Scham in die Kabine verkrochen hatte. "Es tut mir leid. Die anderen haben ein gutes Rennen gemacht."

Ein Rückfall in alte Wildwest-Zeiten muss bei ihr nicht befürchtet werden, heute beim Sprint kann sie für das nächste Stimmungshoch sorgen. "Es gibt keinen Grund für sie, jetzt an sich zu zweifeln oder zu wackeln. Sie wird ihre guten Trainingsleistungen mit in die nächsten Wettkämpfe nehmen", sprang ihr Cheftrainer Uwe Müssiggang bei. Von 60 Schuss im Training kurz vorher, berichtete seine indisponierte Musterschülerin, habe sie nur einen Fehler geschossen. Am Ende blieb die Erkenntnis: "Ich bin auch nur ein Mensch." Eine solche Fehlleistung fehlte noch in ihrer Karriere. Immerhin waren ihr die Kolleginnen für den vierten Platz nicht gram. "Sie waren alle ganz lieb zu mir", sagte Neuner.

Neuner verschießt den deutschen Staffelsieg

Mit vielem wurde gerechnet bei der Generalprobe für die WM im März in Ruhpolding, nur nicht, dass Neuner Trost empfangen muss. Der war für andere bestimmt. Miriam Gössner zum Beispiel. Die 21-Jährige, als flinke Läuferin von Langlauftrainer Jochen Behle umworben, trifft im Schießstand zu selten ins Schwarze und dümpelt in der Gesamtwertung auf Platz 40. Bundestrainer Gerald Hönig nominierte sie wegen ihres Zitterhändchens erst gar nicht für die Staffel in Oberhof, nachdem sie die beiden vergangenen Einsätze im deutschen Quartett vermasselt hatte. "Ich habe noch ein bisschen Zeit, mich in Ruhe zu entwickeln", glaubt Gössner. Davon, dass sie einmal die bayerische Winterkönigin Magdalena Neuner beerben könnte, kann aber zurzeit keine Rede sein. Goldverwöhnte Trainer und Fans stimmt deren Abschied angesichts der Tristesse im Lager der Skijägerinnen umso wehmütiger.

Da gibt es eine Tina Bachmann, die über den Sommer eifrig an ihrer Kondition und ihrem psychologischen Rüstzeug gearbeitet hat, die aber mit 25 Jahren, also in dem Alter, in dem Olympiasiegerin Neuner ihre Karriere beenden wird, immer noch als großes Talent gehandelt wird. "Im Laufen bin ich mittlerweile wieder in etwa dort, wo ich sein wollte, und auch beim Schießen klappt es im Training deutlich besser. Jetzt geht es darum, dass die zwei Komponenten im Wettkampf zusammenpassen", sagte die Vize-Weltmeisterin im Einzel.

Neuner siegt nach Rücktrittsankündigung

Immerhin sehen die Trainer bei ihr Potenzial, weil Ungenauigkeiten am Schießstand eher zu beheben sind als Defizite beim Laufen. Das Vertrauen rechtfertigte sie in Oberhof. Dort brachte sie die Staffel in Führung. Die in Hochfilzen auf der Startposition eins eingesetzte Franziska Hildebrand dagegen hat sich in ihrer Premierensaison im Weltcup bisher läuferisch als nicht konkurrenzfähig erwiesen. Auch die Sportsoldatin aus Clausthal-Zellerfeld ist schon 24. Großtaten werden auch Carolin Hennecke, 25, und Nadine Horchler, 25, nach durchwachsenen Bewährungsproben nicht mehr zugetraut. So durfte in Oberhof plötzlich die bereits ausgemusterte Mixed-Weltmeisterin von 2008, Sabrina Buchholz, wieder ran. Siege im zweitklassigen IBU-Cup reichten als Empfehlung für die 31-Jährige. "Ich hatte noch nie so einen starken Druck vor einem Rennen", sagte Buchholz nach ihrem bravourösen Staffelauftritt. Sie hatte nach drei Nachladern mit nur knapp zwei Sekunden Rückstand auf die letzte russische Läuferin übergeben.

"Dass es nicht einfach sein wird, auf das Siegerpodest zu laufen, haben wir in den ersten drei Weltcups gesehen", konstatiert Chefcoach Müssiggang. Dass immer mehr internationale Biathletinnen an die Spitze drängen, ist eine Seite, dass niemand vom Deutschen Skiverband (DSV) dabei zu sein scheint, die andere.

Den Sprung "in die Sonne" zu schaffen heraus aus dem Schatten, den jahrelang Neuner, Kati Wilhelm, Simone Hauswald und Martina Beck spendeten, setzt auch die richtige Einstellung voraus. Eigentlich wollte Miriam Gössner sich einen neuen Gewehrschaft zulegen, aber anstatt mit DSV-Waffenmeister Sandro Brislinger das neue Zubehör zu testen, zog es die Tochter einer Norwegerin zu einem Gaudi-Rennen in ihre zweite Heimat nach Skandinavien. Gössner sagt: "Ich habe gemerkt, dass ich mit dem alten Schaft gut zurechtkomme." Sandro Brislinger stellte dagegen ihre Reife infrage: "Die hat noch zu viele Flausen im Kopf."

Den deutschen Trainerstab umtreibt die Sorge, dass auf Jahre hinaus eine Weltklasseathletin fehlt. Experte Brislinger sagt: "Auch bei den Juniorinnen ist kein großes Talent in Sicht."

Biathlon: Weltcup in Oberhof: Herren, 4 x 7,5 km: 1. Italien 1:30:49,1 Std./0 Strafrd. 5 Schießfehler; 2. Russland 0:06,1 Min./2 13; 3. Schweden 0:32,7/0 6; 4. Deutschland (Schempp, Birnbacher, Graf, Peiffer) 1:03,1/1 14.