Nur ein Missgeschick des THW Kiel beim TV Großwallstadt kann den HSV noch zum deutschen Meister machen

Hamburg. In Kiel haben sie nichts dem Zufall überlassen. Von 19 Uhr an wird am Sonnabend bei der "Champions-Party 2010" auf dem Rathausmarkt gefeiert. Und wenn um 21.45 Uhr die Handballer des THW per Autokorso vom Flughafen Kiel-Holtenau heranrollen, dann wird die Stimmung den Siedepunkt erreichen. Es gilt den Champions-League-Sieg vom vergangenen Wochenende gebührend zu würdigen und vermutlich auch die 16. deutsche Meisterschaft - sofern am Nachmittag im Spiel beim TV Großwallstadt nichts dazwischenkommt.

In Hamburg wäre in diesem Fall Spontaneität gefragt. Um 22.05 Uhr wird der HSV am Flughafen vom Saisonfinale beim HBW Balingen-Weilstetten (16.30 Uhr/Sport1 live in einer Konferenz) zurückerwartet. Um 23.10 Uhr bringt ein in den Vereinsfarben gestalteter Sonderzug der S-Bahn die Mannschaft nach Stellingen, von wo jeder seiner Wege gehen würde.

Kurzfristige Fahrplanänderungen sind nicht ausgeschlossen, jedoch bräuchte es schon ein mittleres Handballwunder. Kiel führt vor dem letzten Bundesligaspieltag mit einem Punkt und einer uneinholbar besseren Tordifferenz vor seinem Dauerrivalen. Die letzte THW-Niederlage beim TV Großwallstadt datiert vom 21. Februar 2001 (27:29). In jenem Jahr liefen die Kieler am Ende auf dem fünften Platz ein. Es war, nebenbei bemerkt, die vorläufig letzte Saison, in der ein Tabellenführer der Handball-Bundesliga am finalen Spieltag noch vom Meistersockel gestoßen wurde - seinerzeit warf sich der SC Magdeburg noch im direkten Duell mit 30:23 an Flensburg-Handewitt vorbei.

Die Hamburger Hoffnungen auf ein vergleichbares Szenario sind überschaubar. Dafür waren die jüngeren Kieler Siege beim HSV sowie in der Champions-League-Endrunde gegen Ciudad Real und Barcelona schlicht zu eindrucksvoll. "Großwallstadt will noch in den EHF-Pokal, die werden alles geben und haben nichts zu verschenken. Ich rechne aber nicht damit, dass ihnen eine Sensation gelingt", sagt Kapitän Pascal Hens.

Auch der Handball-Bundesliga scheint der Glaube zu fehlen, die Meisterschale wurde vorsorglich zum Spielort Aschaffenburg gefahren. Ulrich Wolf hat dafür grundsätzlich Verständnis: "Kiel ist die beste Mannschaft Europas." Für seine Einschätzung, wie stark der Gegner ist, bemüht der sportliche Leiter des TV Großwallstadt das Wort "sehr" genau sechsmal. "Aber wir haben eine Außenseiterchance. Gegen den THW haben wir immer ganz gut ausgesehen."

An Motivation sollte es jedenfalls nicht fehlen. Bei einem Sieg wäre der Altmeister als achte und letzte deutsche Mannschaft sicher für den Europapokal qualifiziert. "Das war aber gar nicht unser Ziel, sondern ein einstelliger Tabellenplatz", sagt Wolf. "Den haben wir erreicht, was uns nach Platz 13 in der Vorsaison wohl keiner zugetraut hätte. Deshalb sollte die Mannschaft ganz locker in dieses Spiel gehen."

Auch das Kräfte-Verhältnis könnte für sie sprechen. Den Kielern stecken das Spiel gegen Balingen am Mittwoch und das Final Four vom vergangenen Wochenende in den Gliedern - und womöglich auch die dazugehörigen Feierlichkeiten. Großwallstadts letzte Partie liegt elf Tage zurück: Beim TuS N-Lübbecke drehte die Mannschaft einen 21:28-Rückstand binnen 13 Minuten noch in einen 32:30-Sieg um. "Daraus können wir sicher ordentlich Selbstvertrauen ziehen", glaubt Wolf. Genug, um diesen nimmersatten Kielern in die Meisterschale zu spucken?

Eine Trophäe immerhin ist den Hamburgern nicht mehr zu nehmen. Hans Lindberg wird als zweiter HSV-Profi nach Kyung-Shin Yoon die Auszeichnung für den besten Torjäger der Bundesliga in Empfang nehmen, was der dänische Rechtsaußen "als Auszeichnung für die ganze Mannschaft" ansieht. Er werde, verspricht Lindberg, nicht an Großwallstadt denken, schon gar nicht während des Spiels gegen Balingen, das im Gegensatz zum HSV von sich behaupten kann, in der gerade noch aktuellen Bundesligasaison den THW bezwungen zu haben.

Lindberg ist in der kommenden Woche noch für seine Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation gegen die Schweiz im Einsatz. Die nächste Saison könnte nach vier Jahren seine letzte im Trikot des HSV sein. Dänische Medien berichteten am Freitag über einen möglichen Wechsel des Rechtsaußen zum FC Barcelona und beriefen sich auf Informationen der spanischen Sporttageszeitung "Marca". "Barcelona ist ein interessanter Verein", sagte Lindberg dem Abendblatt. Im Übrigen wolle er die Meldungen nicht kommentieren.

Der HSV möchte den 2011 auslaufenden Vertrag mit dem Linkshänder gern verlängern. "Die Gespräche mit seinem Berater laufen", ließ der sportliche Leiter Christian Fitzek wissen. Von einem Interesse des FC Barcelona sei ihm nichts bekannt, im Gegenteil: Xavier O'Callaghan, der Manager des Champions-League-Rekordsiegers, habe dies mehrfach dementiert.

Der Handball dürfte auch während der Sommerpause ein spannendes Feld bleiben.