Nach drei zweiten Plätzen hat der Kenianer für Sonntag den Sieg angepeilt. Es wäre ein später Triumph.

Hamburg. Ein bisschen nervös sei er schon gewesen seit vergangenem Sonntag, erzählt Wilfred Kigen. Bis zum 25. Hamburger Marathon waren es nur sieben Tage, aber noch 6592 Kilometer. Das ist die Entfernung, die zwischen Ngong, seinem Wohnort nahe der kenianischen Hauptstadt Nairobi, und Hamburg liegt, Luftlinie. Nur: In Europa sei zu der Zeit ja keine Linie in der Luft gewesen. Entsprechend gelöst konnte Kigen gestern Mittag im Hotel Intercontinental darüber plaudern, wie er es doch noch in die Hansestadt geschafft habe, die letzte Strecke von Amsterdam am Morgen auf dem Schienenwege.

Zum sechsten Mal wird er am Sonntag in Hamburg an der Startlinie stehen. Dreimal schon war er Zweiter, vor drei Jahren erzielte er hier seine persönliche Bestzeit von 2:07:33 Stunden. Eine winzige Sekunde trennte ihn damals im Ziel vom Sieg, den ihm sein Landsmann Rodgers Rop wegschnappte. Diesmal hat er sich eine Zeit um 2:08 Stunden vorgenommen. "Aber vor allem will ich diesmal gewinnen."

Es sind schmale Schultern, auf die die Veranstalter des Jubiläumsrennens die Favoritenlast abgelegt haben. Gerade mal 52 Kilogramm bringt Kigen auf die Waage, bei 1,73 Meter Körpergröße. Das geringe Körpergewicht wird oft genannt, wenn nach Erklärungen für die Überlegenheit der ostafrikanischen Läufer gesucht wird. Und auch sonst entspricht Kigen einigen Kenia-Klischees: Als Kind hat er die zehn Kilometer zur Schule im Laufschritt absolviert, "um nicht zu spät zu kommen". Er lebt und trainiert auf über 2000 Meter Höhe, was die Produktion roter Blutkörperchen fördert. Er ist wie so viele Läufer pro forma bei der Polizei angestellt. Und natürlich ist er mit seinen Prämien - den Frankfurt-Marathon gewann er dreimal - in der Heimat ein gemachter Mann. Einerseits.

Andererseits hat Wilfred Kibet Kigen erst mit 23 Jahren ernsthaft zu trainieren begonnen, in einem Alter, in dem die Karriere vieler kenianischer Läufer bereits beendet ist, weil sie früh verheizt erden. Kigen ist jetzt 35, und er hat seine Laufbahn sorgsam geplant: "Ich mache nicht mehr als vier Starts im Jahr - zwei Marathons, zwei Straßenläufe." Der Rest ist Training, an sieben Tagen die Woche: mal kürzere Tempoläufe, mal lange Einheiten von bis zu 38 Kilometern.

Der große Paul Tergat hat ihn einst aus seinem Heimatort Eldoret in seine Laufgruppe geholt. Vor einem Jahr hat sich der frühere Weltrekordler zurückgezogen, Genaueres weiß Kigen auch nicht. Geblieben ist die 30-köpfige Gruppe, zu der auch Patrick Makau Musyoki gehört, der vor zwölf Tagen in Rotterdam in 2:04:48 Stunden die viertbeste Zeit der Geschichte hinlegte.

In diese Dimension wird Kigen wohl nicht mehr vorstoßen. Aber ein Sieg am Sonntag wäre ein großer Erfolg, größer wohl noch als die drei in Frankfurt, die ihn inspiriert haben, sein jüngstes von fünf Kindern Frank zu nennen. Auf dem Papier mit der Liste der Eliteläufer gibt es keinen, der ihm gefährlich werden sollte. Sogar einen eigenen Schrittmacher hat Kigen mitgebracht, einen anderen stellt ihm der Veranstalter.

Am Montag will er wieder zu seiner Frau, einer Deutschlehrerin, und den Kindern zurückkehren. Sie müssen nicht wie er in die Schule laufen. Kigen hat sie in einem Internat angemeldet.