Düsseldorf. Die Luft ist stickig im dritten Stock des Karstadt-Sporthauses an der Schadowstraße. An normalen Freitagen um 14 Uhr versuchen sich nur wenige Kunden zwischen Frotteehandtüchern von Joop und dem Matratzenset "Königin der Nacht" zu entscheiden. An diesem Tag aber blicken rund 200 Augenpaare gebannt auf zwei Männer, die sich auf einem Podest gegenüberstehen, die Oberkörper unverhüllt, die Gesichter erstarrt wie im Wachsfigurenkabinett. Spitze Frauenschreie künden von einer gewissen Erregung, über allem hängt der Geruch von Schweiß und billigem Parfum, und als die Stimme des Moderators durch die Lautsprecher schallt, erwartet man die Ankündigung eines Sonderangebots an Cervelatwurst. Es ist wie so oft beim öffentlichen Wiegen vor Profiboxkämpfen: Der Hauch der großen Welt hat es schwer gegen den Muff des Alltäglichen. Aber wo sonst kommt der normale Fan seinen Idolen so nah wie hier, in der Bettenabteilung eines Kaufhauses?

An diesem Sonnabend wird das Umfeld ein ganz anderes sein. Wenn Wladimir Klitschko gegen 23 Uhr in den Ring der Esprit-Arena steigt, um seine WM-Titel im Schwergewicht nach Version von IBF und WBO gegen den US-Amerikaner Eddie Chambers (27) zu verteidigen, werden ihm 50 000 Fans im Stadion zujubeln und rund zehn Millionen die Übertragung bei RTL verfolgen. Marius Müller-Westernhagen singt live, am Ring sitzen diverse Schauspieler und Sportgrößen - ein Spektakel, das es in dieser Form in Deutschland nur gibt, wenn die Klitschkos boxen.

Die Kämpfe der ukrainischen Brüder sind zu großen "One-Man-Shows" geworden. Seit der 33 Jahre alte Wladimir im vergangenen Juni zu seiner bislang letzten Titelverteidigung 61 000 Menschen in die Arena in Gelsenkirchen lockte, haben er und sein fünf Jahre älterer Bruder Vitali, Weltmeister des WBC, Stadionkämpfe für sich entdeckt. Dabei scheint es, was die sich selbst vermarktenden Brüder und ihren Manager Bernd Bönte überrascht hat, mittlerweile völlig egal zu sein, wer der Gegner ist. Auf Schalke hieß er Ruslan Chagaev und war sogar WBA-Weltmeister. Immerhin ist Chambers den deutschen Fans durch seinen Sieg im Juli 2009 gegen Alexander Dimitrenko aus dem Hamburger Universum-Stall ein Begriff. Der Pole Albert Sosnowski, gegen den Vitali am 29. Mai in der Arena auf Schalke antritt, ist völlig unbekannt. Und dennoch werden die Stadien ausverkauft sein. Klitschko gucken ist das Event - die Gegner im Ring sind nur schmückendes Beiwerk.

Zu häufig waren sie leider nicht einmal das. Wladimirs letzte ernsthafte Prüfung fand im September 2005 in Atlantic City statt, als er US-Hoffnung Samuel Peter nach Punkten schlug, jedoch dreimal am Boden war. Der letzte Gegner, der wenigstens beherzt auftrat, war im Juli 2008 Tony Thompson, der aber nie die Mittel fand, den Doppelweltmeister zu gefährden. Wladimir Klitschkos letzte Niederlage gegen Lamon Brewster ist fast sechs Jahre her. Seitdem hat er elf Kämpfe bestritten, von denen nicht einmal die Hälfte die Bezeichnung "Kampf" verdient hatte. Und wer sah, wie ehrfürchtig Chambers beim Wiegen seinen Rivalen musterte, der kann keine große Hoffnung haben, dass sich diese Bilanz in Düsseldorf großartig ändern wird.

Nun kann man den Klitschko-Brüdern ihre Dominanz nicht zum Vorwurf machen. Vielmehr haben sie die richtigen Schlüsse aus der Geschäftslage gezogen. Sie verteidigen ihre Titel dort, wo sie die Stars sind, wo sie die Infrastruktur kennen und wo sie am Ende den größtmöglichen Profit herausschlagen. Lediglich viermal innerhalb der vergangenen sechs Jahre trat Wladimir in den USA an. Im einst gelobten Box-Land gilt sein Kampfstil als langweilig, zudem haben die Fans Probleme, die ukrainischen Brüder auseinanderzuhalten. Aus diesen Gründen verzichtet der frühere Klitschko-Haussender HBO auf eine Übertragung des Duells mit Chambers. In Amerika interessieren sich die Menschen mehr für Klitschkos neue Freundin, die US-Serienschauspielerin Hayden Panettiere (20).

In Europa hingegen stehen die Klitschkos unangefochten an der Spitze und ernten die Früchte ihrer Arbeit. Bei solchen Aussichten kann man es wohl verschmerzen, dass die "One-Man-Show" auch mal eine halbe Stunde zwischen Handtüchern und Matratzen spielt. (bj)