Deutsche Athleten stürmen auf Platz eins der ewigen Bestenliste. Drei Olympiasiege in 25 Minuten und drei weitere Medaillen an einem Abend. Herausragende Biathleten und alpine Skiläufer.

Whistler. Gerd Schönfelder informierte sich erst einmal daheim, wo denn der Nachwuchs bleibt. Willi Brem feierte bis tief in die Nacht mit bayerischen Freunden, Verena Bentele dagegen ließ den ganzen Trubel sausen und fiel nach der Siegerehrung direkt ins Bett. Den größten Tag in der Geschichte des deutschen Behindertensports feierte jeder der drei Hauptdarsteller auf seine Weise.

"Klatschen reicht da nicht mehr", sagte Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), am Abend im Deutschen Haus. "Da müssen wir schon die Gläser erheben."

Die deutschen Athleten hatten in Whistler gleich vier Rekorde aufgestellt. Nie zuvor gab es sechs Medaillen an einem Tag und erst recht nie drei Goldläufe innerhalb von 25 Minuten. Seit diesem goldenen Abend ist Deutschland nach Anzahl der gesammelten Medaillen die erfolgreichste Nation in der Geschichte der Winter-Paralympics. Und Gerd Schönfelder ist mit nunmehr 13 Goldmedaillen der erfolgreichste Athlet in der Historie der Winter-Paralympics.

Aber nicht nur die Paralympics-Sieger Schönfelder (Riesenslalom), Brem und Bentele (beide Biathlon), die am Donnerstag im Fünf-Kilometer-Langlauf bereits ihr viertes Gold gewann, boten Emotionen pur. Auch hinter den anderen drei Medaillen des Rekordtages standen außergewöhnliche Geschichten. Durch das Silber von Deutschlands Behindertensportlerin des Jahres, Andrea Rothfuß aus Mitteltal, im Riesenslalom übernahm der DBS Rang eins im ewigen Medaillenspiegel von Norwegen. Andrea Eskau (Magdeburg/siehe auch Infokasten) lief im Biathlon nach nur neun Monaten Training ebenso zu Bronze wie der 48 Jahre alte Routinier Josef Giesen (Herzlake) in seinem letzten Rennen

Der contergangeschädigte Josef Giesen ist als Biathlet auch ohne Arme einer der weltbesten Schützen. Der Sportler aus dem norddeutschen Herzlake verfehlte nur bei einem seiner Versuche die Scheibe. Und die steht immerhin in einer Entfernung von zehn Metern mit einem Durchmesser von 1,5 Zentimetern - das entspricht etwa der Größe von einem Cent. Viele fragen sich, wie Giesen überhaupt seine Waffe bedienen kann. Ganz einfach: mit dem Mund und mittels einer Spezialvorrichtung. Er repetiert sein Luftgewehr mit dem Kinn. Den Abzug betätigt der 48-Jährige über eine Schnur mit einem Ring am Ende. Er muss sehr gut schießen, damit er seinen großen Nachteil kompensieren kann: Er geht ohne Stöcke auf die Strecke und kann deswegen nicht so gut beschleunigen wie seine Konkurrenten mit Armen.

Damit hat Giesen seine Medaillensammlung im Biathlon komplett. 2002 war er in Salt Lake City Paralympics-Sieger im 7,5-Kilometer-Rennen, 2006 in Turin wurde er Zweiter. Jetzt ist Schluss, "mit 48 sollte man langsam an das Finale denken". Und dieses Finale genoss Jupp, wie ihn seine Kumpels nennen: Er warf sich in den Schnee, defilierte an der Zuschauer-Tribüne vorbei, verneigte sich, obwohl es eher umgekehrt hätte sein müssen. Und abends, auf der Medal Plaza, kickte er den Blumenstrauß, den andere werfen, mit dem Fuß ins Publikum.

Gerd Schönfelder, der "Stier von Kulmain", wird am Sonntag zum letzten Mal in seiner großen Karriere bei Paralympics starten, gleichzeitig erwartet Ehefrau Christina stündlich das zweite Kind. "Ich muss das alles irgendwann mal ordnen", sagte der 39-Jährige, der sein 13. Gold in vollen Zügen genoss: "Die Siegerehrung war der Wahnsinn, die schönste, die ich je erlebt habe. Toller kann das Gefühl bei Olympia auch nicht sein." Derweil träumt Andrea Eskau von einem weiteren Stück deutscher Paralympics-Geschichte. Wenn sie am Sonntag - ihrem 39. Geburtstag - im Langlauf gewinnt, wäre die Handbikerin erst die zweite deutsche Frau nach Reinhild Möller, die bei Sommer- und Winterspielen Goldmedaillen gewinnt. "Ich denke, ich habe allerbeste Chancen", sagte sie selbstbewusst.

Die 20 Jahre alte Schülerin Andrea Rothfuß wartet nach dreimal Silber auf ihr erstes Gold. "Im Moment bin ich ein bisschen die Silber-Andrea", sagte sie und lächelte. "Gold kann ich noch nicht."