Die blinde Biathletin stand im Januar 2009 vorm Karriereende. In Vancouver krönte sie ihr großartiges Comeback.

Whistler. Verena Bentele lockte mit ihrem strahlenden Siegerlachen sogar die Sonne hervor. Grau hatte keine Chance, der Himmel über Whistler kapitulierte vor dem bezaubernden Charme der seit ihrer Geburt blinden Topathletin. Nach dem achten Paralympics-Gold ihrer eindrucksvollen Karriere fielen emotionale Zentnerlasten von der Biathletin ab: "Das ist ein ganz toller Tag. Extrem toll. Für mich ist das eine richtig grandiose Geschichte."

Ob sie dieses Kapitel jemals schreiben würde, stand vor mehr als einem Jahr in den Sternen. Ihre Gesundheit und vor allem das sprichwörtlich "blinde" Vertrauen, das sie in einen Begleitläufer haben muss, waren zerstört. Bei der deutschen Meisterschaft 2009 in Isny beging ihr damaliger Begleiter einen folgenschweren Fehler. "Er hat links und rechts verwechselt", erzählt Bentele. Sie stürzte in einen Abgrund und erlitt schlimme Verletzungen. Einen Kreuzbandriss, Kapselrisse an zwei Fingern und Verletzungen an der Leber und einer Niere, die letztlich sogar entfernt werden musste. "Ich konnte mich kaum bewegen. An Sport war nicht zu denken", sagt die 28-Jährige: "Aber ich bin ein Stehaufweiblein. Und ich wollte meine Karriere nicht mit einem Sturz beenden."

Den Menschen, auf dessen Kommandos sie trotz des Traumas wieder vertrauen konnte, fand sie in Thomas Friedrich, der schon mit ihrem ebenfalls sehbehinderten Bruder Michael gearbeitet hat. "Sie hatte Probleme, einen Begleitläufer zu finden", sagt Friedrich und ergänzt schmunzelnd: "Aber ich habe mich breitschlagen lassen."

Geduldig gewann er das Vertrauen der Literaturstudentin. Als das Duo im Winter sowohl den Gesamtweltcup im Biathlon als auch den im Langlauf gewann, war Bentele wieder da. Blieb nur noch das Lampenfieber. "Sie war sehr angespannt", sagt Friedrich: "Aber nicht nur die letzten beiden Tage, sondern die letzten beiden Wochen."

Ihre Familie, die auf der Tribüne des Whistler Paralympic Parcs die Daumen drückte, ihr Trainer Werner Nauber - sie alle mussten heftige Überzeugungsarbeit leisten. Es hat sich gelohnt, und es gab Komplimente für eine sportliche Leistung, die es in sich hatte: Trotz drei Schießfehlern legte die 28-Jährige im Jagdrennen über drei Kilometer 31,6 Sekunden zwischen sich und die zweitplatzierte Russin Ljubow Wasiljewa. Sie selbst hatte nach zwei "Fahrkarten" beim zweiten Schießen schlimme Befürchtungen: "Ich habe nicht mehr mit Gold gerechnet." Doch weil auch Wasiljewa patzte, ging die Rechnung am Schluss doch noch perfekt auf. "Riesig. Ich zolle ihr unglaubliche Anerkennung dafür, dass sie dem Erwartungsdruck standgehalten hat. Ganz toll", kommentierte der deutsche Chef de Mission, Karl Quade, den achten Goldcoup der gebürtigen Lindauerin seit ihrer Premiere 1998 überschwänglich.

Quade verneigte sich im Namen des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) vor der "Legende der Paralympics", wie der Streckensprecher die jetzt achtfache Goldmedaillen-Gewinnerin schon auf ihrer letzten Runde bezeichnete: "Das zeugt von der unglaublichen Leistungsfähigkeit dieser Superathletin."

Und die wollte nur noch dankbar sein, ihrem Begleitläufer Friedrich, ihrem Coach, ihren Angehörigen: "Es sind so viele Leute an diesem Sieg beteiligt, und es ist ein wunderschönes Gefühl, dass ich ihnen etwas zurückgeben konnte."

Es soll sogar noch mehr werden. "Am Montag sind die 15 Kilometer Langlauf im freien Stil. Da freu ich mich drauf."