Vancouver. Nebel hat den Cypress Mountain wieder in stumpfes Grau gehüllt. Wenig zeigt der Bergzug nordwestlich von Vancouver von seiner Schönheit. Nur das gleißende Licht der Flutlichtanlage an der Sprungschanze der Freestyler legt in der Dämmerung und später am Abend den Blick für die prächtige kanadische Natur frei.

5000 Menschen sind den Hausberg der Pazifikmetropole wegen ganz anderer Sehenswürdigkeiten hochgefahren. Die Freestyle-Springer, die Aerials, haben zu ihrer finalen olympischen Flugschau geladen. Waghalsige junge Männer auf Skiern, die mit 87 Meter Anlauf auf eine 24 Meter lange Rampe zufahren und an deren Ende in fast rechtem Winkel - zwischen 65 und 71 Grad - in die Luft katapultiert werden. Zwischen Himmel und Erde trotzen sie unter Oohs und Aahs des Publikums der Schwerkraft Salti und Schrauben ab, bis die Gravitation sie zurück in den frisch aufgeschütteten Kunstschnee am Fuß des Steilhangs zwingt. Sieben Preisrichter bewerten ihre Darbietung.

Der 30 Jahre alte Weißrusse Alexej Grischin hat den Dreh am besten raus. Zwar sind seine beiden Luftnummern im Finale nicht ganz so spektakulär wie die des US-Amerikaners Jeret Peterson, doch der Liebling der weiblichen Fans hat im Vorkampf zu viele Punkte liegen lassen. Er wird Zweiter. Gold also für Weißrussland, es ist ein historisches, das erste bei Winterspielen für die ehemalige Sowjetrepublik, die als letzte Diktatur Europas gilt. "Wir trainieren hart, wir haben tolle Trainer, exzellente Akrobaten und eine wunderbare Atmosphäre in unserem Team", wird Grischin später sagen - und dass er Kanada liebt. In Whistler, 100 Kilometer weiter nördlich, war er vor neun Jahren einmal Weltmeister geworden.

Freestyle, die etwas andere, unkonventionellere Variante des Skifahrens, fand vor 16 Jahren Eingang ins olympische Programm. Es ist der gelungene Versuch des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Trends zu integrieren und sich einem jüngeren Publikum zu öffnen. Die Menschen, die Grischin und seinen Kollegen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt begeistert zuschauen, sind in der Masse 30 bis 50 Jahre alt. Ihrer Kleidung sieht man einen gewissen Wohlstand an. Die Ski-Zubehörläden um die Anlage machen gute Geschäfte. Väter tragen ihre Kleinkinder auf Schultern, Mütter holen Hotdogs, Pitas und Softgetränke, aber light. Die Musik schallt nicht ganz so laut aus den mannshohen Boxen vor der Stahlrohrtribüne wie beim Buckelpistenfahren und Skicross, dafür überschlagen sich die Stimmen der Kommentatoren wie die Körper der Athleten.

Die Deutschen haben diesen Trend verschlafen, ebenso im Shorttrack, seit 1992 olympisch, und Snowboard (1998). In diesen drei jungen olympischen Disziplinen werden 60 Medaillen vergeben, gerade vier gingen seit 1992 an deutsche Sportler. Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sagt: "Erkennen wir strukturelle Mängel, werden wir versuchen, sie zu beheben."

Dennoch waren von deutschen Athleten in Vancouver reichlich Luftsprünge zu sehen - bei Siegerehrungen. Es gibt schlechtere Momente bei Olympischen Spielen für derartige Darbietungen.