Der Russe erweist sich als schlechter Verlierer. Die Diskussionen über die Zukunft des Sports gehen weiter.

Vancouver. Bei der Blumenzeremonie war das Ganze irgendwie charmant. Jewgeni Pluschenko, als Silbermedaillengewinner aufgerufen, die rechte Seite des Podiums zu betreten, machte einen kurzen Zwischenstopp auf der obersten Plattform des Stockerls. Er grinste, das Publikum lachte, es schien eine harmlose Anspielung zu sein darauf, dass der Olympiasieger von 2006 nach vier Jahren Pause eigentlich zurückgekommen war, um seinen Thron zu reklamieren.

Anschließend bei der Pressekonferenz war es nur noch rotzig. Pluschenko ließ die anderen Medaillengewinner eine Viertelstunde allein sitzen, ehe er sich dazubequemte. In seinen Einlassungen erklärte er sich mehr oder weniger zum rechtmäßigen Sieger, und nach fünf Minuten war er wieder weg. Die anderen beiden saßen immer noch da, Japans Daisuke Takahashi mit seiner Bronzemedaille und der Eiskunstläufer, der Pluschenko entthront hatte: Evan Lysacek.

Dass die Kür der Männer in Polemik enden würde, hatte sich bereits über die letzten Wochen angekündigt. Ebenso war anzunehmen, dass sie sich in diesen beiden Läufern personifizieren würde, die schon vom Auftritt her so viel unterscheidet. Pluschenko (27) ist ein zeitgenössischer Entertainer, Lysacek (24) dagegen könnte man sich mit seinen streng zurückgegelten Haaren und der spärlichen Mimik auch in der Nachkriegszeit vorstellen.

Entlang der Linie Moderne versus Tradition verläuft auch der Zwist. Das Schlüsselwort heißt "quad", für quadrupel: ein Sprung mit vierfacher Drehung. Im Pacific Coliseum zeigten von den drei fast punktgleich in die Kür gestarteten Medaillengewinnern zwei einen solchen Quad. Pluschenko, er stand gleich am Anfang seines Programms zu "Tango Amore" einen vierfachen Toeloop. Und Takahashi, er stand denselben Sprung nicht. Nur Lysacek versuchte es gar nicht erst. Dafür versprühte sein Auftritt zur "Sheherazade" ganz zweifelsohne die meiste Eleganz.

"Wenn ein Olympiasieger keinen Quad springen kann, dann weiß ich auch nicht", sagt Pluschenko. "Wenn sie einen Sprungwettbewerb haben wollten, würden sie uns zehn Sekunden für unseren besten Sprung geben, und das war's", sagt Lysacek. Früher gab es im Eiskunstlauf eine A-Note für die technische Schwierigkeit und eine B-Note für den künstlerischen Ausdruck. Sie zählten gleich viel. Das jetzige Punktsystem, eingeführt nach dem Preisrichterskandal von Salt Lake City, bevorzugt aber Pluschenko zufolge konservative Läufer. Lysacek hat auch schon Vierfachsprünge gestanden, aber er verzichtete in der Olympiavorbereitung darauf, sie einzustudieren, weil er fand, die Beschäftigung damit raube ihm zu viel Energie.

Die Ironie bei dieser Olympiaentscheidung war allerdings, dass am Ende nicht Schrittfolgen oder Pirouetten den Ausschlag für Lysacek gaben, sondern die schlichte Abfolge der Sprünge. Wegen der nachlassenden Kondition gegen Ende einer Kür gibt es für technische Elemente im zweiten Teil des Programms einen Bonus von zehn Prozent in der Benotung. Lysacek landete von seinen acht Dreifachsprüngen fünf nach der Hälfte und drei davor. Bei Pluschenko war das Verhältnis umgekehrt. In seinem Feldzug gegen das Wertungssystem hatte der Russe offenbar nicht auf die Details geachtet.