Die US-Amerikanerin hatte bei ihrem Sieg mehr als zwei Sekunden Vorsprung auf die Deutsche. Heute Teil zwei des Duells.

Whistler. Dass man Lindsey Vonn nicht böse sein kann, liegt vielleicht an ihrem Engelsgesicht, dem zauberhaften Lächeln und den feuchten Augen, die sie der Weltöffentlichkeit vor einer Woche präsentierte. Da enthüllte die Multifavoritin für die alpinen olympischen Skiwettbewerbe, dass eine qualvolle Prellung am Schienbein sie plage. Gar sämtliche Starts in Whistler schienen gefährdet. Vonn stöhnte: "Das ist definitiv die schmerzhafteste Verletzung meiner Karriere." Ihren Landsleuten zerriss es schier das Herz.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Lindsey Vonn aus den Vereinigten Staaten stammt, von wo aus Hollywood Fiktion in alle Welt sendet. Jedenfalls hegten nicht wenige noch gestern vor dem Start der Frauen-Abfahrt Zweifel, inwieweit Vonn womöglich eine zwar peinigende, aber längst nicht weltbewegende Lappalie als Drama verkauft hatte - zumal ihr Gatte Thomas seine Rhetorik entschärft hatte: "Lindsey hat zweifellos das Gefühl, dass sie eine Chance hat, die Abfahrt zu gewinnen."

Am Ende ging der scheinbare Bluff auf: Vonn deklassierte die Konkurrenz in einer derart dominanten Manier, dass die Schienbein-Story umso mehr wie ein Märchen wirkte. "Ein goldener Tag für Vonn!", jubelte "Sports Illustrated". Die Gewinnerin des Abfahrtsweltcups und zweifache Weltmeisterin siegte mit 0,56 Sekunden vor ihrer Landsfrau Julia Mancuso, die die wenigsten auf der Rechnung hatten. Dritte wurde die Österreicherin Elisabeth Görgl mit 1,46 Sekunden Rückstand auf Vonn, die hinterher einmal mehr das Staunen der Konkurrenz erntete: "Sie hatte auch viele Probleme, es war kein perfekter Lauf. Es ist einfach nicht möglich, auf diesem Kurs einen perfekten Lauf hinzukriegen", urteilte die Schweizerin Nadja Kamer.

Und Maria Riesch? Die ambitionierte Deutsche endete auf dem achten Rang, 2,07 Sekunden hinter ihrer Freundin Vonn. Alles andere als eine Traumplatzierung, aber Riesch mühte sich nach ihrem unruhigen Ritt auf der Piste namens "Franz's Downhill" betont um Gelassenheit. "Es waren keine ganz großen Fehler drin in der Fahrt, es waren einige Kleinigkeiten, die nicht gepasst haben. Wir hatten eine andere Situation als im Training, die Piste war etwas ruhiger, aber immer noch schlagig genug", sagte Riesch.

Offenkundig war sie ihr Rennen im Gegensatz zu den Amerikanerinnen auf dem Podest deutlich weniger aggressiv angegangen. Wenigstens widerfuhr der deutschen Mitfavoritin aber nicht, was etwa die Schweizerin Dominique Gisin oder die hochgewettete Schwedin Anja Pärson miterleben mussten: Sie stürzten als zwei von mehreren Rennläuferinnen schwer. "Aaah" und "Ohhh" raunten die schätzungsweise 8000 Zuschauer im Zielbereich, als Gisin zu Fall kam. "Mein Kopf tut mir weh und mir ist schwindelig. Ich hatte einen wirklich weiten Schlusssprung und habe begonnen, mich in der Luft zu drehen. Ich habe dann versucht zu fallen, ohne mich zu verletzen", sagte Gisin.

Ähnlich erging es Exweltmeisterin Pärson nach einem mächtigen Zielsprung über die letzte Kuppe. In der Luft verlor sie die Kontrolle, fiel nach der Landung auf den Rücken und rutschte hilflos den steilen Hang hinunter. Eine Rennläuferin musste gar per Helikopter von der Strecke ins Krankenhaus geflogen werden.

Pärsons Crash ereignete sich just vor Maria Rieschs Start. Ohnehin war das Rennen zuvor schon einige Male gestoppt gewesen, was die Nerven der Bayerin zusätzlich belastete. "Es war keine einfache Situation mit den ganzen Unterbrechungen", sagte Riesch. Während sie sich über Platz acht ärgert, kann Gina Stechert sich über ihren zehnten Platz freuen. Die zweite Deutsche im Rennen hatte schließlich erst nachträglich die geforderten Normen für die Teilnahme an den Spielen erfüllt.

Rieschs nächste Chance auf eine von fünf Medaillen wartet heute in der Super-Kombination. Sie ist definitiv größer als gestern - auch wenn Vonn ebenfalls am Start sein wird. Riesch weiß: "Ich darf mich nicht verunsichern lassen. Heute hat es nicht sollen sein - morgen ist ein neues Rennen."