Whistler. Nun also hat Magdalena Neuner (23) auch bei den Kanadiern einen Stein im Brett, diesen manchmal etwas eigenbrötlerischen Gastgebern, für die es eigentlich nur Eishockey und Curling gibt. Beim Spaziergang durch Whistler wird sie von zwei Mittdreißigern mit Kanadaflagge gestellt. "Hey, bist du nicht eine deutsche Biathletin?", fragt der eine und tut so, als würde er mit der Hand auf etwas zielen. "Ja, aber du musst es so machen", antwortet sie, lächelt und legt ein imaginäres Gewehr an. "Siehst du: klack, klack, klack."

Die deutsche Biathletin hat längst gemerkt, dass sie mit ihrer unbekümmerten Art Menschen bezaubern kann, und man traut es ihr nicht zu, dass sie diese zauberhafte Eigenschaft so einsetzen könnte, dass es aufdringlich und unangenehm wird. Magdalena Neuner ist ein showfähiger Sonnenschein. Wie die frühe Franziska van Almsick vielleicht, nur im Schnee, so leicht schwebte sie am Tag ihres Olympiasiegs im Verfolgungsrennen durchs Deutsche Haus von Whistler. Ihr war nicht anzumerken, dass "mir der wahrscheinlich härteste Wettkampf meines Lebens" in den Knochen steckte.

So eine tut dem immer noch boomenden Biathlon gut: der lebende Beweis, dass es die heile Welt im Sport noch gibt, in diesen Zeiten des ausgeklügelten Dopings. Nun ist die sechsmalige Weltmeisterin auch Olympiasiegerin. Geht's noch ein Stück höher? Sie hatte Lipgloss aufgelegt, die Haare legten sich gefällig um ihr strahlendes Gesicht, die Wangen waren gerötet von der Aufregung oder der Hitze oder beides. Sie sah aus wie die fleischgewordene Unschuld vom Lande. Das Gold hielt sie in der rechten Hand und streichelte es. "Mir hat jemand gesagt, dass die Medaille aus Altmetall gemacht wurde." Gelächter. Kokett fügt sie an: "Aber ich weiß nicht, ob es stimmt."

Gleich drei Titel hat Magdalena Neuner, für alle im Deutschen Haus nur Lena, bei der Weltmeisterschaft 2007 geholt. Da war sie 19; drei bis vier Jahre, sagt man, brauchen Junioren, um den Übergang zu den Profis zu meistern. Neuner brauchte nicht mal eins. Drei Jahre später holte sie bei ihren ersten Olympischen Spielen Silber und Gold. Olympiasieger Sven Fischer prophezeit ihr spätestens seit Dienstag eine "einmalige Karriere".

Neu ist, dass sie plötzlich ganz allein im Rampenlicht steht. Die alten Olympiasieger Kati Wilhelm und Andrea Henkel spielten in Sprint und Verfolgung in Whistler keine Rolle. Und bald werden die Frauen ganz fort sein, auf die immer Verlass war. Die goldene Generation liegt in den letzten Zügen. Uschi Disl trat 2006 nach den Winterspielen ab, Wilhelm und Henkel werden wohl weitermachen, aber womöglich nur bis zur WM 2012 in Ruhpolding.

Neuner versichert, dass es in der Nationalmannschaft der Frauen flache Hierarchien gebe. Es sei nicht so ist, dass eine auf dem Sofa sitzt und die anderen auf dem Fußboden um sie herum. Die Dame auf dem Sofa könnte man zweifelsohne für Neuner halten. Einspruch. "Ich habe gar nicht das Bestreben, ganz oben in der Hackordnung zu stehen." Kati Wilhelm ist für sie immer noch die unumschränkte "Rudelführerin", versichert sie, "da stehe ich noch hinten an". Noch.

"Wir verstehen uns alle sehr, sehr gut", sagt Neuner. "Die Kati, die Andrea (Henkel) und die Martina (Beck) können alle im Einzel gewinnen." Neuner hat vor ihrem dritten Start "ihre Schäfchen im Trockenen". Ihre Teamkolleginnen tragen nach dürftigen Resultaten zum Olympiaauftakt in der heutigen Einzelentscheidung über 15 km (19.20 Uhr, Herreneinzel über 20 km um 22.20 Uhr) größere Lasten mit sich herum. Es ist zu spüren, dass Neuner ihnen gern etwas zurückgeben würde, denn: "Ich habe ihnen auch viel zu verdanken."

Neuner konnte trotz ihres Raketenstarts bei der WM 2007 an der Karriere halbwegs unbeschwert feilen, weil die Aufmerksamkeit vom umsichtigen Bundestrainer Uwe Müssiggang im Bedarfsfall auf Routiniers wie Kati Wilhelm oder Andrea Henkel gelenkt wurde. Die einzige Last, die Neuner dann tragen musste, war das Gewehr.

Neuner ist auf dem besten Weg, dem deutschen Biathlon ein neues Profil zu geben. Wenn sie erst wieder in ihrer oberbayerischen Heimat ist, in ihrem sicheren Hafen. "Ich bin noch nicht angekommen und brauche meine Ruhe, um zu begreifen, was ich erreicht habe", sagt sie. Mit den Emotionen tut sie sich noch schwer in ungewohnter Umgebung. "Natürlich fühlt sich die Goldmedaille schöner an als die silberne", sagt sie schließlich. "Sie kommt heute Abend ins Nachtkästchen. Dort wird sie neben der silbernen schlafen." In Magdalena Neuners Welt hat alles einen geordneten Platz.