Weitspringer Nils Winter nimmt in Hamburg Anlauf auf Olympia 2012. Der 32-Jährige trainiert in Hamburg Winterhude - ohne Kollegen.

Hamburg. Früher wäre Nils Winter jetzt da draußen gewesen. Er hätte seine Runden durch Schnee und Eis gedreht und vergeblich versucht, warm zu werden mit dem Hamburger Winter. Es war nicht immer leicht, Leichtathlet zu sein, als Winter vor acht Jahren die Hansestadt verließ, um in Leverkusen sein Glück zu versuchen. Er hatte sein Studium zum Wirtschaftsingenieur abgeschlossen, und sportlich gab es nichts, was den Weitspringer noch in Hamburg gehalten hätte.

Inzwischen ist Nils Winter 32, Olympiateilnehmer und Vizeeuropameister in der Halle, und auch sonst hat sich einiges verändert seitdem. Er sitzt jetzt warm und trocken in der schmucken Winterhuder Leichtathletikhalle. Außer ihm trabt diesen Morgen nur eine Sportlerin über den Tartan. In Leverkusen war der frühere Dreisprungweltmeister Charles Friedek sein Trainingspartner. In Hamburg ist Winter wieder ein Einzelkämpfer, sein Coach Sebastian Hess schickt ihm von Stuttgart aus die Trainingspläne. Aber das hat Winter in Kauf genommen, als er sich zur Rückkehr entschloss, nachdem sich das Team Referenznetzwerk Leverkusen aufgelöst hat. Von Hamburg aus nimmt er Anlauf auf die Spiele 2012 in London, die Höhepunkt und Abschluss seiner Karriere werden könnten.

Nils Winter hat nicht unbedingt erwartet, dass die Stadt ihren verlorenen Sohn mit offenen Armen empfängt. Der HSV hat gerade das neue Wunderkind Sebastian Bayer aus Bremen verpflichtet, da würde für den zweitbesten deutschen Weitspringer zwangsläufig weniger Aufmerksamkeit abfallen. Aber das Angebot, das der HSV ihm vorlegte, sei dann doch "eher unmoralisch" gewesen: "Die finanzielle Schmerzgrenze war unterschritten." Winter ging zu seinem Heimatverein Buxtehuder SV.

Dass Leistung sich nicht unbedingt auszahlt, hat er seit der Hallen-EM in Turin vor einem Jahr lernen müssen. Winter erzielte mit 8,22 Metern persönliche Bestweite, nur sieben Zentimeter fehlten zum führenden Bayer. Doch im letzten Versuch der Konkurrenz wurde aus dem deutschen Doppelsieg eine historische Einzelleistung. Bayer sprang, besser: er schwebte auf 8,71 Meter und landete im "Aktuellen Sportstudio". Bei Winter rief genau ein Journalist an.

In seiner Geburtsstadt Buxtehude ist er nicht Bayers Schattenmann. Bei einem Heimspiel der Bundesliga-Handballerinnen wurde der zweimalige deutsche Meister offiziell präsentiert, ein würdiger Rahmen. Und schließlich wohnten auch noch die Eltern in der Stadt. 20 Stunden pro Woche arbeitet er jetzt im familieneigenen Betrieb, einer Reederei.

Noch aber habe der Sport Vorrang. Der Sprung in die Saison am vergangenen Wochenende war mit 7,58 Meter noch verhalten, "mir fehlt noch die Sicherheit". Am Sonnabend startet er in Stuttgart den nächsten Angriff auf die Hallen-WM-Norm von 8,10 Meter. Für den Saisonhöhepunkt, die Freiluft-EM in Barcelona, sind zweimal acht Meter gefordert, eine Marke, die Winter seit sieben Jahren im Griff hat.

Trotzdem hat ihn der DLV nicht in sein "Top-Team" aufgenommen. "Wahrscheinlich glaubt keiner, dass ich bis 2012 durchhalte", sagt er. Überhaupt habe er sich zuletzt oft dafür rechtfertigen müssen, dass er überhaupt weitermache, "und das im Jahr nach meinem größten Erfolg". Nils Winter schüttelt den Kopf. Er glaubt, dass er seine Bestleistung noch in den Beinen hat. Und selbst wenn nicht: "Es macht mir immer noch Riesenspaß."