Innsbruck. Am achten Tag hatte Bogdan Wenta das Gefühl, dass die Zeit reif sei, die Zügel etwas schleifen zu lassen. Polens Handballer hatten am Vorabend durch einen schwer erkämpften 35:34-Sieg über Tschechien als bislang einzige Mannschaft bei der Europameisterschaft das Halbfinale erreicht, zum ersten Mal in ihrer Geschichte. Es war ihr fünftes Spiel binnen einer Woche, im sechsten geht es schon heute gegen Frankreich um den Gruppensieg in der Hauptrunde (20.30 Uhr/DSF in Konferenz mit Kroatien - Dänemark). Und also tat der Trainer das einzig Vernünftige: Er gab seinen Spielern gestern frei.

Es wird Wenta vermutlich schwergefallen sein, ihm, der selbst an Ruhetagen rastlos durchs Hotelfoyer eilt und der, nach den Gründen für den Aufschwung seiner Mannschaft gefragt, nur eine Antwort kennt: Arbeit. Fragt man seine Spieler, bekommt man eine andere: Wenta. "Er hat aus uns eine Mannschaft gemacht", sagt Slawomir Szmal, mit durchschnittlich 15,8 Paraden pro Spiel der bislang beste Torhüter der EM. Und der Hamburger Krzysztof Lijewski schwärmt: "Wir hatten immer gute Spieler, aber erst mit ihm kam der Erfolg." WM-Silber war es 2007, Bronze 2009.

Als Wenta (48) vor fünf Jahren die Nationalmannschaft übernahm, fand er eine zusammenhangslose Ansammlung von Einzelkönnern vor. Er hat sie zu einer Gemeinschaft verschworen und sich selbst zu einem Teil davon gemacht. Lijewski erinnert sich noch gut an die erste Begegnung: "Er sagte uns: Jungs, ich will nicht mit ,Herr Trainer' angesprochen werden. Nennt mich Bogdan, ich bin euer Kumpel."

Dieser Kumpel kann allerdings zum Rüpel werden. Dann tobt er an der Seitenlinie wie ein Raubtier, den nur eine unsichtbare Leine vom Sprung abhält. Später ist ihm das oft selbst peinlich. Nach dem 30:30 gegen Slowenien in der Vorrunde, dem bislang einzigen Punktverlust im Turnier, entschuldigte sich Wenta öffentlich für sein Benehmen.

Es hat den früheren polnischen und deutschen Nationalspieler bei Zuschauern wie Kollegen in Verruf gebracht. Nach der WM 2007, bei der Polen erst im Finale Gastgeber Deutschland unterlag, entzweite er sich kurzzeitig mit Bundestrainer Heiner Brand, seinem einstigen Mentor. Im eigenen Team aber wird Wenta verehrt wie ein Heilsbringer. "Bogdan bringt die Emotionen ins Spiel. Er gibt alles für uns, wir versuchen, es ihm zurückzugeben", sagt Szmal.

In der Heimat euphorisiert der Siegeszug der Mannschaft die Massen. 4,3 Millionen Fernsehzuschauer sahen die Partie gegen Tschechien live bei Polsat. Die Tageszeitung "Polska Times" bejubelte eine "Explosion der Freude". "Wir haben Riesenquoten, es gibt immer mehr Sponsoren", sagt Wenta und deutet auf die Logos auf seinem Poloshirt.

Mittelfristig soll das auch die polnische Liga beflügeln. Mehr als die Hälfte des EM-Kaders spielt in der Bundesliga, die meisten anderen in Wentas Verein Kielce. Das größte Problem sei, "dass die Klubs nicht so professionell arbeiten wie in der Bundesliga". Vielen Spielern gebreche es an internationaler Erfahrung. "Im Training spielen wir manchmal: Wer weniger als zehn Länderspiele hat, muss werfen. Das sind einige."

Darin liegt auch eine Chance. Womöglich hat der Höhenflug der Polen gerade erst begonnen. Das Spiel gegen den in die Jahre gekommenen Weltmeister und Olympiasieger Frankreich könnte eine Wachablösung einläuten. "Wir sind einen langen Weg gegangen", sagt Wenta, "aber noch lange nicht am Ende." Es klingt wie eine Drohung.