Innsbruck. Johannes Bitter kam als einer der Letzten aus dem Innersten der Innsbrucker Olympiahalle. Er hatte die Auszeichnung für den besten Spieler seiner Mannschaft in der Hand, aber sie war ein schwacher Trost für den großen Preis, den die deutschen Handballer in ihrem ersten Hauptrundenspiel bei der Europameisterschaft in Österreich verpasst hatten. "Wir waren über weite Strecken mit dem Olympiasieger und Weltmeister ebenbürtig", erkannte der Hamburger Torhüter treffend, "aber wir haben uns einen kollektiven Blackout geleistet."

Binnen vier schwacher Minuten hatte sich der Weltmeister von 2007 beim 22:24 (10:12) gegen Frankreich um einen durchaus möglichen Sieg gebracht - und damit um die letzte Chance, bei diesem Turnier noch ins Halbfinale einzuziehen. Eine nüchterne Einschätzung der Situation gab der Berliner Torwart Silvio Heinevetter ab: "Wir sollten die Hauptrunde jetzt dazu nutzen, um Erfahrung zu sammeln." Morgen gegen Spanien (18.15 Uhr/ARD) ist dazu die nächste Gelegenheit.

Erfahrung ist das, was dieser Mannschaft vor allem fehlt. Das war zumal in der Anfangsphase der zweiten Halbzeit zu beobachten. Bis dahin hatte Deutschland die Übermannschaft des Handballs dieser Tage auf Normalmaß geschrumpft. Sie hatte die gefürchteten Rückraumschützen dank einer ebenso beherzten wie offensiven Abwehrleistung auf Distanz gehalten. Sie hatte damit die offensichtlichen Schwächen im Angriff kompensiert: dass etwa Holger Glandorf fünf missglückte Würfe und zwei technische Fehler brauchte, um erstmals ins Tor zu treffen; oder dass die Flügelspieler Christian Sprenger und Torsten Jansen insgesamt dreimal bei völlig freien Würfen am Kieler Welthandballer Thierry Omeyer gescheitert waren.

Aber dann reihte sich plötzlich leichter Fehler an leichten Fehler im deutschen Spiel und leichtes Tor an leichtes Tor im französischen, und aus einem 10:12 zur Halbzeit war im Nu ein 10:17 geworden (35. Minute). "Auf diesem Niveau werden Fehler eben gnadenlos bestraft", haderte Bitter, "diese Minuten haben uns das Genick gebrochen."

Die Fehler mögen typisch sein für diese junge Mannschaft. "Im Grunde muss ich mit solchen Rückschlägen rechnen", weiß Bundestrainer Heiner Brand. Aber typisch für diese Mannschaft ist eben auch, dass sie sich selbst durch große Rückstände nicht entmutigen lässt. Es hat ihr in der Vorrunde gegen Slowenien einen Punkt gebracht und gegen Polen fast einen weiteren. Er war auch gestern gegen Frankreich möglich. Binnen fünf Minuten, in denen Bitter alles Menschenmögliche hielt, kämpften sich die Deutschen von 14:21 auf 20:22 heran (54.).

Die 8200 überwiegend deutschen Fans in der Olympiahalle tobten, und es ist kaum auszudenken, was passiert wäre, hätte der Hamburger Jansen seinen Siebenmeter nicht gegen den rechten Torpfosten geworfen. "Wir hatten eine realistische Chance", sagte Brand zerknirscht. Aber er musste auch einmal mehr die Grenzen seiner Mannschaft einräumen.

So wie die Kampfstärke eine Konstante dieser Mannschaft ist, so ist es auch ihre Führungsschwäche im Rückraum. Kapitän Michael Kraus konnte das Machtvakuum abermals nicht füllen, und es lag kaum an seinen Oberschenkelproblemen, dass der Lemgoer am Ende sogar seinem nachnominierten Vereinskollegen Martin Strobel weichen musste. Und so musste Brand schließlich erkennen, dass die Mannschaft in ihrer Entwicklung zwar noch nicht sehr weit, aber eben auch nicht am Ende ist: "Wenn wir daraus lernen, kann ich damit leben." Den Nachweis muss seine Mannschaft morgen erbringen.