Die Chance, etwas für die Tordifferenz zu tun, wurde vertan. Kapitän Pascal Hens warf sein 1000. Tor - und sah später die Rote Karte.

Hamburg. Zufriedenheit hört sich anders an. "In der zweiten Halbzeit haben sie wenigstens gekämpft, die erste Hälfte war eine Katastrophe", grummelte Andreas Rudolph, der Präsident der HSV-Handballer. 39:23 (14:13) hatten diese den TSV Dormagen besiegt, "doch wir haben uns, warum auch immer, viel zu lange schwer getan", meinte der künftige Nationalspieler Matthias Flohr.

Im Jahr 2007, als sich Kiel und der HSV bis zum letzten Spieltag um die Meisterschaft duellierten, ging der Titel damals nur aufgrund der (klar) besseren Tordifferenz an den punktgleichen THW. Die Geschichte könnte sich 2010 wiederholen. Auch in dieser Saison, in der nach den gestrigen Niederlagen der Verfolger Frisch Auf Göppingen (in Melsungen) und Rhein-Neckar Löwen (gegen Flensburg-Handewitt) erneut alles auf einen finalen Zweikampf zwischen den beiden stärksten Klubs der Bundesliga hindeutet, haben die Kieler nach elf Begegnungen 15 Treffer vorgelegt. Die Chance, diesen Rückstand noch deutlicher zu verkürzen, vergaben die Hamburger gegen den Tabellen-16. aus Dormagen in der ersten Halbzeit leichtfertig.

In diesen 30 Minuten hatte der HSV sogar größte Mühe, überhaupt in Führung zu gehen. Hans Lindberg gelang die erste nach zehn Minuten zum 6:5, Igor Vori in der 17. Minute die zweite zum 9:8, und Domagoj Duvnjak die dritte - in doppelter Unterzahl (vier gegen sechs Feldspieler) - zum Halbzeitstand von 14:13. Bezeichnend: Pascal Hens erzielte direkt nach seiner Einwechslung in der 20, Minute mit seiner ersten Aktion sein 1000. Tor für den HSV zum 10:10-Ausgleich. Grund zum überschwänglichen Jubeln, befand er, gab es für ihn nicht. Denn zwischendurch musste der HSV wiederholt einem Rückstand hinterherwerfen, und Trainer Martin Schwalb tobte an der Seitenlinien wie Rumpelstilzchen: "Was macht ihr, Mensch?"

Die Frage war berechtigt, Torhüter Johannes Bitter warf den Ball einmal zum Gegner, ein anderes Mal ins Aus, Lindberg verschoss einen Siebenmeter (5.), andere schleuderten die Bälle neben oder übers Tor, und einer der vielen Fehlpässe im Spielaufbau führte in der 28. Minute zur Roten Karte für Hens. Der hatte Dormagens Rechtsaußen Tobias Plaz beim Zurücksprinten nur noch mit einem Bodycheck am Wurf vom Kreis hindern können. Die Schiedsrichter werteten die Aktion nach kurzer Beratung als grobes Foulspiel. Plaz krümmte sich am Boden und blutete aus dem Ohr. In der zweiten Halbzeit konnte er jedoch weitermachen.

Da stand inzwischen ein anderer HSV auf dem Feld; wach, aufmerksam, wild entschlossen und schnell auf den Beinen. Per Sandström (zwölf Paraden bei 22 Würfen) wurde im Tor zum Rück-Halt, der Bitter (4/17) 26 Minuten lang nicht war, und im Angriff spürten die Zuschauer endlich jene Willenskraft und Konsequenz, die sie lange vermissen mussten. Das Resultat dieses Wandels schlug sich rasch im Ergebnis nieder. Nicht mehr der Sieg der Hamburger stand in Frage, sondern nur noch dessen Höhe. Nach 45 Minuten lag der HSV beim 28:18 zum ersten Mal mit zehn Toren Vorsprung, am Ende waren es schließlich 16.

"Zum Glück für uns haben die Hamburger nur eine Halbzeit lang richtig ernst gemacht", meinte Dormagens Trainer Kai Wandschneider.

Tore, Hamburg: Duvnjak 7, M. Lijewski 6, Jansen 5, Flohr 4, Vori 4, G. Gille 3, Lindberg 3 (1 Siebenmeter), Schröder 3 (1), Hens 2, Lackovic 1, K. Lijewski 1; Dormagen: Schindler 6, Nippes 4, Chantziaras 3, Wisotzki 3, Linder 3, Plaz 1, Dmytruszynski 1, Holst 1, Lochtenberg 1. Schiedsrichter: Frantczak/Ribeiro (Kamp-Linfort/Diepholz). Zuschauer: 8117. Zeitstrafen: 4; 5. Rote Karte: Hens wegen groben Foulspiels (28.).