Wie er es geschafft hat, sein Seelenleben so versteckt zu halten und trotzdem seine Leistung zu bringen, findet Mischa Zverev rstaunlich.

Hamburg. Es sieht so aus, als hätte meine Odyssee durch die Arztpraxen bald ein Ende. Die Röntgenbilder meines gebrochenen rechten Handgelenks liegen bei den Spezialisten Deutschlands vor, und jetzt kann ich nur noch hoffen, dass alle der Meinung sind, dass ich ohne Operation auskomme. Mein Gefühl wird von Tag zu Tag besser. Ich habe mir die Hand schon ein paar Mal gestoßen, und es war alles okay. Es ist erstaunlich, wie sehr man sich freut, wenn man nach so einer langen Zeit endlich die zweite Hand wieder ordentlich benutzen kann. Aber es ist ja immer so, dass einem erst auffällt, wie gut es gesunden Menschen geht, wenn man krank ist.

Natürlich bin auch ich in diesen Tagen mitgenommen vom Selbstmord des Robert Enke. Ich kannte ihn gar nicht, hatte ehrlich gesagt noch nicht einmal gewusst, dass er als Stammtorwart zur WM hätte fahren sollen. Deshalb kann und will ich mir über seine persönliche Situation auch kein Urteil erlauben. Was ich aber sagen will, ist dies: Ich finde es befremdlich, dass in Zusammenhang mit seiner Erkrankung nun davon gesprochen wird, dass man Schwächen mehr tolerieren sollte. Ich sehe Robert Enke überhaupt nicht als schwachen Menschen an, sondern im Gegenteil als unheimlich stark. Wie er es geschafft hat, sein Seelenleben so versteckt zu halten und trotzdem seine Leistung zu bringen, finde ich erstaunlich. Und außerdem ist der Wille zum Leben ja eigentlich größer als der Wille zum Sterben. Ich bin überzeugt davon, dass fast jeder Mensch schon einmal über Selbsttötung nachgedacht hat. Aber so einen Schritt wirklich umzusetzen, dazu gehört in meinen Augen eine Willensstärke, die ein schwacher Mensch nicht haben kann.

Natürlich denke auch ich darüber nach, ob ein solcher Fall auch in meinem Umfeld denkbar wäre. In dem Zusammenhang erscheinen auch die Aussagen von Andre Agassi im Umfeld des Erscheinens seiner Autobiografie in einem anderen Licht. Ich habe das Buch noch nicht gelesen und auch nicht allzu viel darüber gehört, aber ich finde es sehr spannend, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, die er aufwirft. Dass man gezwungen wird, ein Leben zu leben, das man gar nicht will, ist für mich ein unvorstellbarer Zwang. Umso glücklicher bin ich in solchen Momenten, dass ich ein Umfeld habe, in dem Probleme angesprochen werden, und dass ich spüre, dass Tennis genau das ist, was ich in meinem Leben derzeit machen möchte. Man spürt auch, dass Erfolg, Geld, Macht am Ende eben doch nichts wert sind, wenn sie nicht glücklich machen. Deshalb bin ich in diesen Tagen einfach nur dankbar dafür, dass es mir und meinem Umfeld gut geht.

Heute verbringe ich den Tag in Düsseldorf mit einem Besuch bei meinem Bundesligaverein Rochusclub, morgen fliege ich noch einmal nach Hamburg zu meiner Familie, ehe es am Sonntag wieder in meine Wahlheimat Monaco geht. Dort werde ich weiter an meinem Comeback arbeiten und die Antwort der Ärzte erwarten. Ich wünsche Euch ein hoffentlich fröhliches Wochenende. Viele Grüße aus Düsseldorf, Euer Mischa!

Der Hamburger Profi Mischa Zverev (21), derzeit an Position 80 der Weltrangliste geführt, berichtet exklusiv für abendblatt.de von seinen Erlebnissen im Tennisjahr 2009