Im Titelrennen zwischen WM-Spitzenreiter Jenson Button und seinen Verfolgern entscheiden Kleinigkeiten.

São Paulo. Sebastian Vettel muss den Aggressor in der Dreier-Wette der Formel 1 spielen, in der schon am Sonntag (18 Uhr, RTL live) über den Weltmeister entschieden werden kann. Jenson Button führt vor dem Großen Preis von Brasilien mit 16 Punkten vor dem Heppenheimer und mit 14 auf seinen Brawn-Kollegen Rubens Barrichello. Der entscheidende Ratschlag auf der Zielgeraden der Psycho-WM passt auf alle drei Kontrahenten: bloß nicht rechnen!

Das ist beim vorletzten Grand Prix der Saison leichter gesagt als gefahren. Das doch noch spannend gewordene Titelrennen ist auch ein Grand Prix dreier cooler Typen. Vettel, der Hyper-Coole. Button, der Ultra-Coole. Barrichello, der so gerne cool wäre. Der Brite, der im ersten Saisondrittel sechs von sieben Rennen gewonnen hat (und seither keins mehr), hat rechnerisch natürlich die größten Chancen, was soll da noch groß passieren? Aber kommt er mit dem Druck klar, der Einzige zu sein, bei dem noch alles schiefgehen kann?

Dazu der Merksatz von Niki Lauda: "Volle Pulle fahren ist einfacher als strategisch zu denken." Barrichello und Vettel setzen unbeschwerter auf alles oder nichts. "Ich habe doch nichts zu verlieren", sagt der deutsche Herausforderer - und verweist auf sein Lieblingsgetränk aus fermentiertem Teepilz, dessen Markennahme wie gemacht scheint für die anstehende Entscheidung, er bedeutet übersetzt schlicht: "Nütze den Tag".

Es ist ein simpler Zwei-Stufen-Plan, den Vettel in Interlagos verfolgt, wo zum fünften Mal in diesem Jahrtausend die Entscheidung fallen kann. Der Heppenheimer muss mindestens Zweiter werden oder gar den Schritt auf den obersten Podiumsplatz schaffen, sonst ist das Titelrennen schon gelaufen für ihn. Das gängigste Rechenmodell von Button: Ihm reicht ein dritter Platz, oder Rang fünf, falls Barrichello nicht gewinnt. Buttons ersten Matchball hat Vettel in Suzuka zuletzt mit einem Start-Ziel-Sieg abwehren können, seiner vielleicht überzeugendsten Darbietung in dieser Saison.

Das Momentum, samt Pole-Position, muss der Red-Bull-Pilot beibehalten. Das macht die Hoffnung etwas größer, aber bei nur noch zwei Rennen in São Paulo und Abu Dhabi bleibt die rechnerische Chance klein: 17 von 20 maximal zu vergebenden Zählern müsste Vettel in jedem Fall holen, um jüngster Weltmeister der Grand-Prix-Historie werden zu können, das wären ein Sieg und ein zweiter Platz. Das erscheint unmöglich - und dennoch besteht die Möglichkeit.

Vor zwei Jahren, an gleicher Stelle, schaffte Kimi Räikkönen das 17-Punkte-Wunder, weil die Konkurrenz schwächelte. Button, der vom Liebesurlaub mit Freundin Jessica Michibata nach Südamerika reiste, hat sich die Stärke als Zuschauer beim Ironman-Zieleinlauf eingeredet: "Der Druck auf meine Verfolger wächst, nicht der auf mich." Auch Vettels Credo erscheint simpel: "Ich habe den Traum vom Titel nie aufgegeben. Jede Chance, die du nicht nutzt, ist eine verpasste."

Um die 40 Punkte haben Sebastian Vettel und Red Bull Racing in dieser Saison liegen lassen - technische Unpässlichkeiten, taktische Fehler, fahrerischer Übermut. Umgerechnet auf die aktuelle Lage im Titelrennen ist das eine herbe und verlustreiche Quote. Er könnte schon als jüngster Champion der Geschichte feststehen. "Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, den liegen gelassenen Punkten hinterherzutrauern", sagt er. Sein australischer Teamkollege Mark Webber wird ihm zu assistieren haben, während die Stallorder bei Brawn ausdrücklich verpönt bleibt. Beim Heimspiel von Barrichello riskiert der Rennstall keinen Eklat.

So bleibt dem Branchen-Senior, der 2010 bei Williams fahren will, zumindest der moralische Sieg. Es ist für die inneren Angelegenheiten des Überraschungsteams schon belastend genug, dass der Brasilianer zum Saisonende wohl seinen Arbeitsplatz an Nico Rosberg verlieren wird. Die 71 Berg- und Talrunden werden auch zu einem Duell der Thesen: Siegt am Ende der Instinkt oder der Kopf? Vettel kann nur gewinnen. Abwarten, Teepilz trinken.

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