Der Sonntagmorgen hatte bereits seine zweite Stunde erreicht, als Dietmar Poszwa sich zu wünschen begann, dass möglichst wenig Menschen wach geblieben waren, um im ZDF den Darbietungen seines Boxers zuzusehen

Rostock. . Poszwa war, in Vertretung seines Schwiegervaters Klaus-Peter Kohl, als ranghöchstes Mitglied der Geschäftsleitung des Hamburger Universum-Profistalls zum Kampfabend nach Rostock gereist, der eine Premiere bereithielt. Erstmals übertrug der Mainzer TV-Partner drei Kämpfe an einem Abend live. Doch was Poszwa, die rund 2000 verbliebenen Fans in der Stadthalle und 1,44 Millionen vor den TV-Schirmen zu vorgerückter Stunde geboten bekamen, war Stand-Up-Comedy im wahrsten Wortsinn.

Der US-Amerikaner Jason Gavern hatte sich zum Ziel gesetzt, das Publikum nur durch alberne Mätzchen zu unterhalten. Der 32-Jährige jodelte nach harten Treffern, scherzte mit Trainern, Nummerngirls und auch Ringrichter Jürgen Langos, dem er auf den Hintern schlug und selbst dafür nicht verwarnt wurde, und er verdarb seinem Gegner Denis Boytsov, den Universum als nächsten Hoffnungsträger im Schwergewicht aufzubauen versucht, damit die Show. Der 23 Jahre alte Russe blieb angesichts der Vielzahl an Provokationen zwar erstaunlich ruhig und konnte in der siebten Runde nach vier Niederschlägen durch technischen K.o. gewinnen; der Verlierer aber war der Sport.

"Das war peinlich fürs Boxen. Ich weiß nicht, was in Gavern gefahren ist. Ich fand das nicht komisch", sagte Poszwa, dem man das Unbehagen im Gesicht ablesen konnte. Das war kaum verwunderlich, wenn man weiß, dass Universum derzeit um eine Fortsetzung des bis Herbst 2010 laufenden Kontrakts mit dem ZDF kämpft. Wer die Kommentare der ZDF-Redakteure am Ring hörte, konnte eine gehörige Portion Galgenhumor feststellen. Motto: "Wir müssen das nur noch ein Jahr mitmachen, ihr euer ganzes Leben!"

Dabei hatten Poszwa und das ZDF zuvor allen Grund gehabt, die Nacht von Rostock als Erfolg zu verbuchen. Die beiden Frauen-WM-Kämpfe, die vor Gaverns Komödiantenstadl von im Schnitt 4,23 Millionen Fans gesehen wurden, boten den erwarteten Sport auf Weltklasseniveau. Besonders das Fliegengewichtsduell zwischen WIBF/WBA-Weltmeisterin Susi Kentikian (22, Hamburg) und der Kölnerin Julia Sahin (35) beeindruckte durch ein von der ersten bis zur zehnten Runde enorm hohes Tempo bei gleich bleibend akkurater Kampfführung. Kentikian siegte am Ende verdient mit 98:92, 97:93 und 96:94 nach Punkten und sicherte sich damit auch den vakanten WM-Titel der World Boxing Organisation (WBO), die erstmals eine Frauen-WM sanktioniert hatte. Dass die gebürtige Armenierin mit ihrer Leistung nicht zufrieden war ("Ich habe nicht so hart getroffen, wie ich es mir vorgenommen hatte. Ich kann es tausendmal besser!"), unterstreicht die gewachsenen Ansprüche, die die hauenden Frauen mittlerweile an sich stellen. "Das war einer der besten Frauenkämpfe der vergangenen zehn Jahre", sagte Poszwa, der besonders Sahin lobte, die vor einem Jahr im Streit von Universum geschieden war und seit 18 Monaten nicht gekämpft hatte.

Fast interessanter als das Geschehen im Ring war der verbale Schlagabtausch, den sich Ina Menzer (28, Mönchengladbach) und Esther Schouten (31, Niederlande) auf der nächtlichen Pressekonferenz lieferten. Nachdem Menzer das Duell durch Mehrheitswertung (96:94, 96:94, 95:95) für sich entschieden, damit ihre WBC- und WIBF-Titel im Federgewicht verteidigt und den der WBO dazugewonnen hatte, warf Schouten ihrer Kontrahentin unsauberes Kopfstoßen und langweiligen Stil vor. Daraufhin bedachten die Athletinnen sich über Mikrofon mit Schmähungen, die das skurrile Spätprogramm wunderbar abgerundet hätten. Da Pressekonferenzen beim Boxen jedoch (noch) nicht live übertragen werden, konnte Poszwa um 2.30 Uhr einigermaßen entspannt Feierabend machen.