Am Morgen danach ließ Sebastian Vollmer noch einmal die Bilder Revue passieren. Beim gemeinsamen Videostudium mit der Mannschaft der New England Patriots wurde der glückliche 25:24-Heimsieg gegen die Buffalo Bills vom Montagabend ausgewertet.

Hamburg. Vollmer hatte ein ganz gutes Gefühl, was sein Debüt in der National Football League (NFL) angeht. "Aber genau sieht man das erst im Film."

In jedem Fall kann Vollmer jetzt einen Titel beanspruchen: Der 25-Jährige aus Kaarst ist erst der vierte deutsche Profi, der in der reichsten und größten Liga der Welt zum Einsatz kam. In die NFL Draft, die alljährliche Auktion der besten Nachwuchsspieler, hatte er es sogar als erster Spieler geschafft, der seine sportliche Grundausbildung in Deutschland erhalten hat. Mit zehn Jahren begann er zu schwimmen, in Neuss gehörte er zur Trainingsgruppe des früheren Weltmeisters Thomas Rupprath. "Dann brauchte ich etwas Aufregenderes", erinnert er sich. So stieß er als 14-Jähriger zur erfolgreichen Jugend der Düsseldorf Panther.

Spät zwar, aber nicht zu spät für eine große Karriere. 2004 hatten US-Scouts bei einem Juniorenländerturnier in Kalifornien sein Talent entdeckt. Inzwischen ist Vollmer ein Riese von 2,03 Metern und 143 Kilogramm. Er hat vier Jahre auf dem College das Footballspielen perfektioniert und einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre und Kommunikation gemacht. Jetzt hat er einen Vierjahresvertrag beim dreimaligen Super-Bowl-Sieger erhalten. Als Tackle ist er in der Offensive Line für den Schutz von Star-Quarterback Tom Brady zuständig, der das Spiel am Montag nach einem Jahr Verletzungspause mit zwei Touchdownpässen in der Schlussphase noch herumriss. Kurz: Sebastian Vollmer hätte Grund genug, stolz zu sein. "Aber ich finde nicht, dass ich irgendetwas erreicht habe."

Wenn man ihn nach seinen Zielen fragt, bekommt man jede Woche eine andere Antwort - je nachdem, wer gerade der nächste Gegner ist. "Man lernt hier, sich nur darauf zu fokussieren", erzählt Vollmer. Er käme ja doch kaum dazu weiterzudenken. Jeden Morgen um 5.30 Uhr verlässt er die kleine Wohnung, die er sich mit seiner Freundin Lindsay genommen hat. Und wenn er um 18 Uhr nach einem prallvollen Trainingstag nach Hause kommt, setzt er sich hin und paukt Spielzüge. 500, vielleicht 600 müsse er beherrschen, die genaue Zahl kennt er auch nicht. "Das Schicksal jedes Rookies", wie Vollmer weiß. Ein paar Minuten Fernsehen vor dem Schlafengehen, darauf beschränke sich die Freizeit.

Das mache das Einleben in Massachusetts schwierig - oder einfach, ganz wie man es nimmt. Sebastian Vollmer vermisst nichts. Er ist bereit, sich zu schinden für Momente wie am Montag, als fast 69 000 Fans aus dem Häuschen waren. Es ist nicht lange her, da war er einer von denen auf der Tribüne und bewunderte die Profis von Rhein Fire. Jetzt erkennen ihn Leute sogar schon auf der Straße, wenngleich er als Lineman nie die Berühmtheit Bradys erlangen wird, dessen Ehe mit dem Topmodel Gisele Bündchen ein Fall für die Klatschspalten ist. "Ich bin plötzlich umgeben von Spielern, die ich bis vor Kurzem nur aus dem Fernsehen kannte", erzählt Vollmer. Besser nicht darüber nachdenken.