Box-Superstar Mikkel Kessler aus Dänemark verteidigt seinen Titel gegen den Venezolaner Gusmyr Perdomo aus dem Hamburger Spotlight-Stall.

Berlin. Er hat sie häufig gehört in den verganenen Wochen, diese Frage nach dem Warum, und trotzdem tut Mikkel Kessler so, als sei er überrascht darüber. Und wahrscheinlich ist er es tatsächlich, denn er wäre selbst nie auf die Idee gekommen, sich das zu fragen, was jetzt alle von ihm wissen wollen: Warum setzt sich ein Mensch, der vor der größten Chance seines Lebens steht, freiwillig der Gefahr aus, diese zu riskieren?

Mikkel Kessler (30), Boxweltmeister im Supermittelgewicht (bis 76,2 kg) nach Version des Weltverbandes World Boxing Association (WBA), soll von diesem Herbst an beim „Super Six“ starten, einem vom US-Pay-TV-Sender Showtime und mehreren Promotern ins Leben gerufenen Turnier, in dem sechs der besten Supermittelgewichtler der Welt bis 2011 in einem Modus mit Vorrunde, Halbfinals und Finale den Nachfolger der zurückgetretenen walisischen Legende Joe Calzaghe bestimmen. Kesslers Debüt ist für den 24..November geplant, in den USA soll er gegen Olympiasieger Andre Ward (USA) antreten. Doch anstatt sich auf die besten Zahltage seiner Karriere zu freuen, willigte Kessler ein, vorher noch seinen WBA-Titel an diesem Sonnabend in Herning gegen den Venezolaner Gusmyr Perdomo aus dem Hamburger Spotlight-Stall zu verteidigen.

Dass eine Niederlage oder eine schwere Verletzung gegen den unbequemen Südamerikaner die Teilnahme am „Super Six“ gefährden oder gar unmöglich machen könnte, weiß Kessler. Aber die Antwort, die er auf die Frage nach dem Warum gibt, ist zugleich auch der Grund für die Popularität des Mannes, der in seiner Heimat noch vor der Tennisspielerin Caroline Wozniacki und dem DTM-Piloten Tom Kristensen der beliebteste Einzelsportler ist. „Jeder Kampf ist ein Risiko“, sagt er, „aber mein Stil ist es, Risiko einzugehen, um meine Fans zu begeistern. Perdomo hat sich die Chance verdient, also soll er sie auch bekommen.“

Der Mut zum Risiko hat Kessler auch über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannt gemacht. Jede Sekunde, die er sich im Ring bewegt, kann die entscheidende sein, weil er nur den Vorwärtsgang kennt. Seine Führhand bringt er mit der Schnelligkeit einer zubeißenden Kobra ins Ziel, seine Körperhaken sind brutal wie der Tritt eines auskeilenden Pferdes. Weil er jedoch trotz ständigen Offensivdrangs auch seine Deckung nicht vernachlässigt, hat er von 42 Profikämpfen nur den im November 2007 verloren – in Cardiff gegen Calzaghe. „Aus diesem Kampf habe ich gelernt, dass es wichtig ist, manchmal auch während eines Gefechts den Stil zu wechseln“, sagt Kessler.

Gebrochen hat ihn die Niederlage nicht, schon im nächsten Kampf im Juni 2008 in Kopenhagen holte er sich den von Calzaghe niedergelegten WBA-Titel zurück – mit einem Zwölftrunden-K.-o. gegen den Hamburger Dimitri Sartison, gegen den er nach Punkten klar in Front lag, was ihm jedoch nicht genügte. „Die Fans wollten den Knockout sehen, und ich wollte ihnen diesen Wunsch erfüllen“, sagt er. Seinen Traum vom uneingeschränkten Regiment im Supermittelgewicht, den Calzaghe zerstörte, will sich Kessler nun durch den Sieg im „Super Six“ erfüllen. „Ich werde das Stück des Weges, das zu meinem Ziel fehlt, nun zuende gehen“, sagt er – und beweist damit, dass er natürlich bereits weiter denkt als bis zum Sonnabend, auch wenn er dies im Gespräch rigoros verneint. Perdomo unterschätzen wird er trotzdem nicht.

Seit elf Monaten hat Kessler nicht mehr im Ring gestanden. Ein Rechtsstreit mit seinem langjährigen Promoter Mogens Palle war Schuld an der Auszeit. Von Palle hat sich der ledige Frauenschwarm – die deutliche Mehrheit der rund 30.000 Besucher seines Profils im Internet-Dienst Facebook sind weiblich – getrennt und aus Angeboten der renommiertesten Promoter aus aller Welt das des Berliner Sauerland-Stalls herausgesucht. „Mit Sauerland hatte ich die besten Gespräche, sie haben auch finanziell das beste Angebot gemacht“, sagt Kessler, für den sein langjähriger Freund Simon Lundt die Verhandlungen führt.

Sauerland-Geschäftsführer Chris Meyer erhofft sich von seinem Neuzugang eine große Sogwirkung. „Mikkel ist ein sehr attraktiver Boxer. Wenn er seiner Favoritenstellung gerecht wird und das Super Six gewinnt, dann haben wir einen absoluten Weltstar verpflichtet“, sagt er. Als solcher will der zurückhaltende „Wikinger-Krieger“, so sein Kampfname, allerdings gar nicht wahrgenommen werden. „Mir war es immer wichtig, nie die Bodenhaftung zu verlieren“, sagt Kessler, der die spezielle Kampfvorbereitung noch immer mit seinem Jugendtrainer Ricard Olsen absolviert. Zwar lebt er seit Jahren in Monaco, „wegen der Steuern, aber auch wegen des wärmeren Klimas, das meinem Körper gut tut“, über Lundt hält er jedoch Kontakt zu seinen dänischen Anhängern. Seine Familie, die in Kopenhagen eine Bar betreibt, besucht er regelmäßig.

Nach der Unterschrift bei Sauerland möchte Kessler aber auch den Sprung in die Herzen der deutschen Fans realisieren. In Berlin hat er sich mit seinem US-Trainer Jimmy Montoya, seinem Fitnesscoach Thomas Mecon und einem Koch, der für den extrem ernährungsbewussten Champion biologisch reine Speisen zubereitet, ein Apartment in Charlottenburg genommen. Die Anschaffung einer eigenen Wohnung ist jedoch ebenso fest eingeplant wie der Besuch eines Sprachkurses. „Deutschland hat großartige Boxfans. Auch wenn Dänemark immer meine Heimat bleibt, möchte ich mich hier zuhause fühlen“, sagt Kessler.

Dass der Kampf gegen Perdomo noch nicht von Sauerlands TV-Partner ARD live übertragen wird, sondern nur im landesweiten dänischen Sender TV 2 und bei Showtime, kann er nachvollziehen. „Ich muss mir die Anerkennung in Deutschland erst verdienen“, sagt er. Aus dem Mund eines langjährigen Weltmeisters klingen solche Worte befremdlich. Aus dem Mund Kesslers klingen sie wie ein Versprechen für spektakuläre Kämpfe. Ohne Fragen nach dem Warum.