Schwarzer fordert eine Quote für deutsche Talente in den Bundesligaklubs, Abstellungsprämien für Einsätze in der Nationalmannschaft und einen TV-Sender für alle Spiele.

Abendblatt: Herr Schwarzer, hat Bundestrainer Heiner Brand Sie schon angerufen?

Christian Schwarzer (39): Warum sollte er?

Abendblatt: Wegen des Länderspiels an diesem Sonnabend in Hamburg gegen Slowenien.

Schwarzer: Nein, nein! Ich stehe endgültig nicht mehr zur Verfügung. In der vergangenen Woche habe ich in Homburg im Saarland mein Abschiedsspiel mit der Nationalmannschaft gemacht. Viele Freunde waren da und haben mit mir gefeiert. Es war ein sehr emotionaler Moment für mich und meine Familie.

Abendblatt: Jetzt sind Sie Jugendkoordinator des Deutschen Handball-Bundes (DHB). Haben Sie Ihren potenziellen Nachfolger schon entdeckt?

Schwarzer: Es mangelt dem deutschen Handball nicht an Talenten. Unsere Jugend-Nationalmannschaften sind international konkurrenzfähig, sie gewinnen regelmäßig Titel. Problematisch bleibt der Übergang in den professionellen Männerbereich. Da fehlen uns mittelfristig jene Spieler, die irgendwann einen Pascal Hens, Holger Glandorf oder Michael Kraus ersetzen könnten. Gute Torhüter werden wir wahrscheinlich immer haben, gute Links- und Rechtaußen wohl auch, aber im Rückraum ist es doch recht übersichtlich, wer sich für die nächsten Jahre auf höchstem Leistungsniveau anbietet. Das hat der Bundestrainer die Wahl der Qual.

Abendblatt: Heiner Brand kämpft seit Langem für eine Quote deutscher Spieler in den Kadern der Bundesligavereine. Auf Gehör stieß er bisher nicht.

Schwarzer: Die Vereine sind Wirtschaftsunternehmen mit Millionenumsätzen. Sie brauchen Erfolge im Hier und Jetzt. Die Folge ist, dass die einheimischen Talente kaum Spielzeiten in den Spitzenklubs erhalten und sich dadurch nicht wie erhofft weiterentwickeln können. In Dänemark und Schweden zum Beispiel spielen die Talente durchweg in den Spitzenteams, entsprechend kontinuierlich feiern diese Nationalteams auch Erfolge.

Abendblatt: Blickt man auf die Einschaltquoten im Fernsehen, schauen im Schnitt zehn Mal mehr Zuschauer die Spiele der Männer-Nationalmannschaft als die der Spitzenklubs THW Kiel oder HSV Hamburg. Müsste es nicht auch im Interesse der Vereine liegen, das Aushängeschild ihrer Sportart zu stärken?

Schwarzer: Es sollte.

Abendblatt: Was ist zu tun?

Schwarzer: Quoten für einheimische Spieler wie in Spanien wäre ein Weg, ein zweiter müsste über die finanzielle Schiene laufen. Die Bundesligaklubs sollten besser entschädigt werden, wenn sie Spieler für die Nationalmannschaft abstellen. Das erhöht den Reiz, deutsche Talente zu fördern.

Abendblatt: Der Deutsche Fußball-Bund zahlt 12.500 Euro pro Nationalspieler und Spiel.

Schwarzer: Wir sollten uns nicht immer mit dem Fußball vergleichen wollen, lernen aber können wir von ihm. Es spricht nichts dagegen, sich stärker an den Erfahrungen des "großen Bruders" zu orientieren. Der ist viel länger, mit viel mehr Personal dick im Geschäft. Das Richtige abzugucken war schon in der Schule ein Erfolgsmodell. Höhere Abstellungsgebühren könnten gleich zwei Probleme angehen: Die fehlende Unterstützung unserer Talente und den Ärger der Klubs über die vielen Auftritte der Nationalmannschaft - wie jetzt bei der EM-Qualifikation. Das sind noch mal zehn, teils überflüssige Spiele.

Abendblatt: Im Februar 2007 wurden die deutschen Handballer Weltmeister. Was ist von dem Wintermärchen übrig geblieben?

Schwarzer: Sportlich eine ganze Menge. Immer mehr Kinder wollen Handball spielen, die Vereine mussten teilweise Aufnahmestopps verhängen, weil ihnen aufgrund der Nachfrage die Hallenzeiten oder die Trainer fehlten. Die Vermarktung des Handballs ist besser geworden, und die Zuschauerzahlen in der Bundesliga sind weiter gestiegen. Handball ist jetzt in Deutschland hinter Fußball ganz klar die Nummer zwei bei den Mannschaftssportarten.

Abendblatt: Die Manipulationsaffäre des THW Kiel, der in der Champions League Schiedsrichter bestochen haben soll, hat dem Image des deutschen Handballs nicht geschadet?

Schwarzer: Ich habe von Umfragen gehört, dass die Sympathiewerte für unsere Nationalmannschaft weiter sehr hoch sind. Auch das Interesse an der Bundesliga hat nach meiner Wahrnehmung nicht nachgelassen, im Gegenteil, es ist fast überall gewachsen. In den Hallen herrscht fantastische Stimmung. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass unter diese Affäre endlich ein Schlussstrich gezogen wird, dass entweder Anklage erhoben oder sie fallen gelassen wird. Nichts ist schädlicher, würde uns diese Angelegenheit noch Monate, vielleicht Jahre medial begleiten. Das könnte dem Handball dann wirklich schaden.

Abendblatt: Haben die Verbände die richtigen Konsequenzen aus der Affäre gezogen?

Schwarzer: Da bin ich überfragt. Das ist ja nicht mehr eine deutsche, sondern inzwischen eine internationale Affäre. Sicherlich gibt es einige Verbesserungen, zum Beispiel, dass die Kontaktaufnahme zwischen den Klubs und den Schiedsrichtern erheblich erschwert wurde. Aber immer, wo Menschen mit im Spiel sind, wird es keine perfekten Lösungen geben. Selbst in der NBA sind über Jahre Basketball-Begegnungen verschoben worden.

Abendblatt: Welche Änderungen, glauben Sie, könnten den Handball noch attraktiver machen?

Schwarzer: Die Fernsehsituation halte ich für unbefriedigend. Bundesliga im DSF und in den Regionalprogrammen der ARD, Champions League bei Eurosport, Länderspiele, EM und WM bei ARD, ZDF und RTL. Wer soll da durchblicken? Der Handball braucht, will er weiter an Popularität gewinnen, einen einzigen Sender, bei dem alle Spiele, in welchem Format auch immer, live, als Aufzeichnung oder Magazin gezeigt werden. Das wäre ein entscheidender Fortschritt. In den Regeln sehe ich kaum Spielraum für Veränderungen. Der Handball hat sich in meiner Karriere komplett gewandelt. Früher endeten Spiele 15:14, jetzt sind das oft nicht mal Halbzeitstände. Das Spiel ist unglaublich dynamisch geworden. Im Vergleich dazu haben wir früher Standhandball gespielt.

Abendblatt: Sind Karrieren wie die Ihre heute noch vorstellbar?

Schwarzer: Ich hatte das Glück, mich nur einmal, bei einem dreifachen Bänderriss im Fuß, schwer zu verletzen. Das Programm ist heute schon hammerhart, das Spieltempo stellt eine weitere extreme Belastung dar. Ich glaube nicht, dass bei diesen Anforderungen jetzt noch jemand fast zwei Jahrzehnte lang auf höchstem Niveau Handball spielen kann.