Robert Harting hätte es machen können wie Usain Bolt. Der Weltrekordler geht nach seinem 200-Meter-Vorlauf wortlos den Zickzackkurs durch die Mixed-Zone ab und lässt die wartenden Medienvertreter einfach stehen.

Berlin. Aber Robert Harting macht von seinem Schweigerecht nicht Gebrauch, obschon er weiß, dass bei einem wie ihm die Gefahr immer groß ist, sich selbst zu belasten. Es scheint den Diskuswerfer nicht zu stören. Oder vielmehr: Er genießt das Tribunal regelrecht.

Harting bleibt also stehen und erzählt über seinen einzigen Qualifikationswurf, der auf die Tagesbestweite von 66,81 Metern segelte. Das reichte locker zum Einzug in die heutige Entscheidung. "Sehr nervös" sei er gewesen vor seinem Berliner Publikum, das wiederum "sehr geil" gewesen sei. So weit, so gut.

Dann wird es finster. Fürs Finale habe er, neben einer Medaille, noch einen Wunsch: "Ich hoffe, wenn der Diskus auf dem Rasen aufkommt, springt er noch gegen eine dieser Brillen, die die Doping-Opfer hier verteilt haben. Dann sehen die gar nichts mehr." Man solle ihn nicht falsch verstehen, sagt Harting noch, er sei ja kein Mörder. "Ich will nur, dass die wirklich nichts mehr sehen. Die machen alles kaputt." Rums! "Unsäglich" fand Clemens Prokop diese Einlassung, aber was der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) sagt, interessiert Harting ja schon lange nicht mehr. "Leute wie Prokop brauchste eigentlich nicht", hatte der 24-Jährige gerade in einem "Bild am Sonntag"-Interview geurteilt.

Dazu muss man wissen, dass der Verein Doping-Opfer-Hilfe bei der WM 20 000 "Doping-Schutzbrillen" in Form blickdichter Pappstreifen verteilen ließ. Man wolle damit "auf charmante Weise hinweisen, dass es ein Problem gibt", wie die Wissenschaftlerin und frühere DDR-Sprinterin Ines Geipel erklärte. Sie war es auch, die wie Prokop den offenen Brief kritisierte, in dem sich Harting und weitere 19 Athleten Anfang des Jahres für eine Weiterbeschäftigung von Hartings Trainer Werner Goldmann durch den DLV einsetzten. Goldmann hat, wie man inzwischen entgegen anderslautenden Beteuerungen weiß, zu DDR-Zeiten verbotene Mittel an seine Athleten verabreicht. Der DLV strich ihn deshalb im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking aus seinem Trainerstab. Die ganze Diskussion habe ihn damals eine Medaille gekostet, klagte Harting später.

Bleibt die Frage, warum er erneut nachtritt. Oder wie vor zwei Wochen plötzlich laut darüber nachdenkt, ob es nicht besser wäre, Doping freizugeben. Er scheint die Reibung zu lieben, sie setzt die Emotionen frei, die er braucht, um weit zu werfen. "Das ist Robert Harting", sagt Markus Münch achselzuckend, als er auf die jüngsten Entgleisungen seines Diskuskollegen angesprochen wird: "Er will gern alle provozieren, um Spannung aufzubauen." Münch gelang dies gestern Mittag nicht, der 23 Jahre alte Hamburger von der LG Wedel-Pinneberg blieb mit 60,55 Metern als 20. in der Qualifikation hängen. Dabei hätten 62,29 Meter zu Platz zwölf, zum Weiterkommen, gereicht; eine Weite, die Münch in diesem Jahr bereits elfmal übertroffen hat. Bevor er geht, winkt Harting die Journalisten noch einmal zu sich: "Ich sag euch noch was: Die Geipel ..." Dann hält er inne. Er dreht ab, geht sich ausruhen. Besser so.

Später bedauerte er dann sogar seine Aussagen. Ein Gespräch mit DLV-Vizepräsident Eike Emrich hatte am Nachmittag diesen Sinneswandel bewirkt. Ganz freiwillig schien er nicht. Harting entging mit seinem Rückzieher wohl einem möglichen Ausschluss vom heutigen Diskusfinale.