Der Hamburger tritt mit Optimismus in den Ring. “Im Training lief es zuletzt hervorragend“, sagt der 23-Jährige. Mitfavorit Robert Harting wirft vor ihm.

Hamburg/Berlin. Am Nachmittag, als er sich auf dem Parkplatz der Sportschule Kienbaum in den Mannschaftsbus setzte und Richtung Berlin fuhr, da sei ihm das erste Mal ganz bewusst geworden, "dass es jetzt richtig losgeht". Ein bisschen nervös sei er in diesem Moment gewesen, berichtet Markus Münch. "Das ist ja nicht irgendein Wettkampf, das sind die Weltmeisterschaften!" Heute Morgen beginnt für den 23 Jahre alten Diskuswerfer der LG Wedel-Pinneberg die WM. Um 11.35 Uhr muss er im Olympiastadion zur Qualifikation in der Gruppe B antreten. Der späte Termin hat gleich zwei Vorteile. "Erstens muss ich meinen Tagesablauf nicht ändern, kann wie immer um acht Uhr aufstehen und kurz danach frühstücken, zweitens weiß ich, welche Weite ich fürs Finale brauche", sagt Münch.

Die ersten Kandidaten müssen bereits um fünf Minuten nach zehn an die zwei Kilo schwere Scheibe, darunter der Berliner Robert Harting (24), Vizeweltmeister 2007. Die insgesamt zwölf Besten aus beiden Gruppen qualifizieren sich für den Vorkampf am Mittwochabend. 64,50 Meter sind die Qualifikationsweite, Münch glaubt, ein Meter weniger reiche auch, um zum finalen Dutzend zu gehören. Dass die Qualifikation nicht Münchs letzter Wettkampf in Berlin sein wird, davon ist sein Trainer Rolf Danneberg überzeugt. Der 56 Jahre alte Hamburger, Diskus-Olympiasieger 1984 in Los Angeles, hat seinem Schüler in den vergangenen zwei Wochen in Kienbaum den letzten Schliff verpasst. "Markus ist gut in Form. Wenn er technisch stabil wirft, sollte die Qualifikation kein Problem werden." Die Nervosität, glaubt Danneberg, werde Münch in Energie umsetzen.

An der Kraft sollte es in der Tat nicht liegen, wenn sich Münch, 2,07 Meter groß, 132 Kilogramm schwer, mit den Besten der Welt misst. Im Training hatte er zuletzt mehr Gewicht im Reißen und Stoßen zur Hochstrecke gebracht als je zuvor. Und auch die Würfe landeten konstant bei 62 und 63 Metern. "Es lief im Training hervorragend", sagt Münch, "jetzt muss ich nur in der Qualifikation wenigstens einen guten Wurf raushauen." 64,90 Meter beträgt seine Bestweite aus diesem Jahr. Er warf sie im Frühjahr auf Teneriffa. Kann er sie in Berlin wiederholen, wäre ein Platz unter den ersten sechs möglich - ein Riesenerfolg für einen jungen Werfer. Beim Golden-League-Meeting vor zwei Monaten am selben Ort wurde er mit 64,16 Metern Fünfter. Danneberg: "Seine beste Zeit kommt ohnehin erst, in zwei, drei Jahren."

Nach dem Frühstück - Brötchen mit Aufschnitt, Joghurt, Früchte und Kakao - wird Münch heute der Bus um 9.10 Uhr aus dem Hotel Berlin, Berlin abholen. Die Fahrt zum Stadion dauert rund 30 Minuten. Zwei Stunden später startet der Wettkampf. "Das ist schon eine sehr lange Zeit. Da kann man ins Grübeln kommen", ahnt Münch. Er wird Musik hören, sich warm machen, bei den Kollegen der ersten Qualifikationsgruppe ein bisschen zugucken, sich dann auf seinen Einsatz konzentrieren und noch einmal alle Bewegungsabläufe im Kopf durchgehen. Rolf Danneberg wird in der Zwischenzeit auf der Tribüne Platz nehmen und Münch beobachten. Er wird es mit aller Zurückhaltung tun. Ein erfahrener Mann wie Danneberg weiß genau, dass gut gemeint das Gegenteil von gut ist. "Hilfe soll helfen, nicht belästigen", sagt er. Die beiden sind nach vier Jahren Zusammenarbeit ein eingespieltes (Erfolgs-)Team. Die WM 2009 in Berlin aber ist für Trainer und Werfer die erste große internationale Bewährungsprobe.

Die hat Robert Harting längst hinter sich. Und während Münch im Mannschaftskreis und in der Öffentlichkeit bewusst Zurückhaltung pflegt, sie entspricht seinem Naturell, liebt der Berliner Lokalmatador die Provokation. "Das ist ein gutes Zeichen dafür, dass Robert unter ziemlicher Anspannung steht", kommentierte Jürgen Mallow, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV), Hartings jüngste Funktionärsschelte.

Mit extrastarker Finalgon-Salbe im Gepäck, die im Fall neuerlicher Pein im Rücken die Schmerzen lindern soll, tritt der 24-Jährige heute Morgen in den Ring. "Es geht langsam aber sicher los in meinem Körper, und ich kann es kaum erwarten", sagt Harting. Auch Trainer Werner Goldmann spürt, wie sein Schützling langsam heißläuft. "Er hat jetzt genau die richtige Mischung aus Anspannung und Lockerheit", sagt der Coach.

Für Harting geht es im Olympiastadion mehr als nur um eine Medaille. Er könnte mit einen Spitzenergebnis zu einem echten Promi der ambitionierten Sportstadt Berlin werden. Auch wenn der seit 13 Monaten in 28 Wettkämpfen unbezwungene Olympiasieger und Titelverteidiger Gerd Kanter (30) aus Estland unantastbar erscheint. Selbst eine Medaille ist für Harting angesichts seiner Weltranglisten-Position fünf alles andere als ein Selbstläufer. Dennoch tönt er: "Die Silbermedaille 2007 von Osaka ist nicht genug. Ich will mehr."

Markus Münch sind solche Ansagen fremd. Harting ist für ihn eine andere Welt. Aber der Hamburger Sportstudent weiß, dass die starken Männer der Leichtathletik manchmal auch verbal Schwergewichte sein müssen. "Wer sich einschüchtern lässt, hat schon verloren" sagt Münch.