Auch heute trägt Manfred Annen sein gelbes Trikot, das sich eng an seinen Körper schmiegt. Wie Pelle an Wurst. Doch Annen sitzt nicht auf seinem Rennrad - er hat eine Hupe in der Hand, steht auf dem Bürgersteig in Sottorf und ruft: “Hopp! Hopp! Hopp!“

Eigentlich, sagt er, liegt der Berg der Leiden dieser Cyclassics nicht in Blankenese, sondern hier in Sottorf, zwischen Vahrendorf und Leversen. Gut 300 Meter geht es die Dorfstraße hoch zum Ortseingang, vorbei an Getreidefeldern und Bauernhäusern. Eine Steigung, die sich bei Gegenwind zermürbend in die Länge zieht. Das weiß nicht jeder. Das wissen nur Menschen wie Manfred Annen, der die Tour um Hamburg seit Jahren selbst mitgefahren ist. Eine Entzündung am Knie hat seinen Start diesmal verhindert.

Dort, wo Annen hupt, sind die Blicke der Hobbyradler schon verzerrt, ihre Haut schwitzig und manches Gesicht blass. Vielleicht sind die schnaufenden Radler auch blass vor Neid, denn viele in Sottorf jubeln so lässig wie die Familie Renck und ihre Freunde.

Wer hier bei Kilometer 67 vorbeifährt, sieht erst mal nur die 22 Flip-Flops und Chucks, die gemütlich auf dem Gartenzaun baumeln. Aus einem Kofferradio hört man Rockmusik, hinter den Stühlen liegen leere Bierflaschen. Aber nicht alle feuern in diesem Jahr mit Rasseln an, denn die sind von Vattenfall. Und denen gehört das AKW Krümmel, das abgeschaltet werden soll. Darüber ist man sich bei den Rencks so einig wie über die Bedeutung ihres Dorfes für das Rennen. "Die Pyrenäen sind nichts gegen die Sottorfer Berge", sagt Andreas Renck. "Danach geht's nur noch bergab."

Genau deshalb gebe es hier auch die "Dopingstation", sagt Thomas Cordes. Und Sottorf dopt mit Hefeweizen. Alkoholfrei und isotonisch. Vor dem Hotel, das die Familie in vierter Generation betreibt, steht seine Frau Angela auf der Straße, streckt ihren Arm aus, in dem sie einen Becher mit Bier hält. Jedes Mal, wenn ein Hobbyradler zuschnappt, jauchzen die Gäste hinter ihr am Bierstand. "Für die Polizei gibt's auch schon mal eine La-Ola-Welle", sagt Angela Cordes. Aber es sind vor allem die Jedermänner, die den meisten Applaus ernten. Für die Sottorfer sind es die "wahren Helden". Sottorf mag die Jedermänner, weil es auch Jedermänner sind, die auf den Gartenstühlen und Bierbänken an der Strecke sitzen und anfeuern. Gastwirte, Schweinebauern, Kaufleute, Feuerwehrmänner.

Sobald der Besenwagen die letzten Radler einsammelt, ist am Hotel Cordes die "Gaudi" vorbei. Dann jubeln sie nur noch einmal. Zwei Sekunden lang, in denen das Profi-Feld vorbeihuscht. Wenn für einen Moment federleichte Hightech-Maschinen den Asphalt in Sottorf streicheln, über den kurz darauf wieder tonnenschwere Trecker rattern.