Jennifer Oeser hatte keine Kraft mehr, um zu jubeln. Sie kauerte auf der blauen Tartanbahn, die Startnummer hing ihr vom Trikot herunter, sie zeugte von dem Drama, das sich gerade im Olympiastadion abgespielt hatte.

Berlin. Mitten im abschließenden 800-Meter-Lauf war die Siebenkämpferin gestürzt und hatte damit den Zuschauern für einen Moment den Atem geraubt. Doch Oeser hatte sich bald wieder aufgerappelt, war unter tosendem Beifall wieder an ihre Konkurrentinnen herangestürmt und hatte sich mit letzter Kraft ins Ziel gerettet.

Und nun leuchtete an der Anzeigetafel ihr Name an zweiter Stelle hinter der neuen Weltmeisterin Jessica Ennis aus Großbritannien auf. Und dahinter die Punktzahl von 6493, gleichbedeutend mit einer neuen persönlichen Bestleistung. Doch es bedurfte schon der Hilfe der am Ende neuntplatzierten Julia Mächtig, um Oeser eine Geste der Freude abzuringen. Sie half ihrer Kollegin auf und hob wie eine Ringrichterin im Boxen Oesers Arm. Dann wich alle Anspannung von der neuen Vizeweltmeisterin, und die Tränen der Rührung ergriffen von ihr Besitz.

Nach zwölf medaillenlosen Jahren wandelte die Leverkusenerin Oeser in der Spur von Sabine Braun, die 1997 als letzte Deutsche den Titel gewann. Bei ihrer WM-Premiere machte auch die Neubrandenburgerin Mächtig, die mit 6265 Punkten Neunte wurde, eine gute Figur. Dritte wurde überraschend die Polin Kamila Chudzik (6471).

Wie schnell es in dem multiplen Wettkampf rauf und runter gehen kann, musste die Bundespolizistin Oeser zwei Jahre zuvor bei der WM in Osaka erfahren. Dort lag sie sogar vor dem abschließenden 800-Meter-Lauf an Platz zwei, rutschte in der Endabrechnung aber noch an die siebte Stelle. Mit Bestleistungen im Kugelstoßen (15,21 Meter) und über 200 Meter (24,30 Sekunden) legte Oeser bei der Heim-WM das Fundament für die Medaille.