André Höhne hat schon verstanden, was das Publikum wollte, als es ihm von den Tribünen am Platz des 18. März lautstark zujubelte. Er sollte noch schneller gehen, aufschließen womöglich zum Russen Waleri Bortschin, der später zum ersten Titelträger dieser WM werden sollte.

Berlin. Gern hätte Höhne ihnen und sich den Gefallen getan. Das Problem war nur: "Ich konnte einfach nicht schneller." Am Ende reichte es zum 14. Platz. 1:21:59 Stunden hatte er für die 20 Kilometer benötigt, gut drei Minuten mehr als Bortschin. Eine schmerzhafte Fersenprellung hatte jeden Schritt durch seine Heimatstadt zur Qual gemacht. "Ohne diese Zuschauer hätte ich es nicht ins Ziel geschafft", sagte er später.

45 000 säumten laut offiziellen Schätzungen die Strecke Unter den Linden. Bei der gestrigen Frauenentscheidung sollen es sogar doppelt so viele gewesen sein. "Für Berlin ist das eine grandiose Sache", frohlockt Clemens Prokop. Die Idee, die Straßenwettbewerbe der WM in die Stadt zu holen, sei nicht überall auf Begeisterung gestoßen, gibt der Präsident des Organisationskomitees zu. "Aber dieser Erfolg zeigt, dass das die Zukunft ist."

Stadt statt Stadion: Auf diese Formel ließe sich die Atmosphäre des Auftaktwochenendes bringen. Während am Brandenburger Tor die WM tags und (dank Kulturprogramms) auch nachts gefeiert wird, blieben die Ränge im Olympiastadion halb leer. Nur 42 546 Zuschauer wollten die ersten Entscheidungen erleben. Ein mittelmäßiges Hertha-Spiel, also eigentlich jedes, lockt mehr Fans an. Stimmung kam meist nur auf, wenn gerade ein deutscher Athlet über die Videowand flimmerte. Selbst La Ola blieb in der ersten Runde hängen.

Die Stimmungsschwankungen offenbaren ein Dilemma der Leichtathletik: Mit großen Meetings sind die Zuschauer nur noch schwer anzulocken. "Diese Sportfeste sind nicht zeitgemäß, sie sind überfrachtet und unübersichtlich", sagt Frank Bertling, Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur Upsolut (Cyclassics, Triathlon). Wenn die Menschen nicht zu den Stars kämen, müsse man die Stars eben zu den Menschen bringen. Ein 100-Meter-Duell auf dem Jungfernstieg etwa oder Stabhochsprung auf der Spitalerstraße sei hochattraktiv - und obendrein beste Werbung für die Stadt.

Auf welch breite Akzeptanz dieser Sport stößt, kann man in Berlins City besichtigen. André Höhne war ganz ergriffen: "Ich hätte nie gedacht, dass die Leichtathletik in Deutschland noch so lebt."