Red Bull fährt am Nürburgring den zweiten Doppelerfolg in Serie ein - das WM-Rennen ist wieder offen.

Nürburg. Mark Webber stellte noch auf der Startgeraden klar, dass er sich für diesen Tag etwas Großes vorgenommen hatte. Wie ein Bankräuber auf der Flucht vor der Polizei bahnte er sich den Weg in die erste Kurve, rammte den Brasilianer Rubens Barrichello in die Seite und schob sich mit einem waghalsigen Manöver vor dem Finnen Heikki Kovalainen in die zweite Position.

Am Ende der 60 Runden konnte er fette Beute machen. Im zarten Alter von 32 Jahren kam der australische Red-Bull-Pilot in den Genuss seines ersten Grand-Prix-Sieges. "Yes, yes, yeah!", krächzte Webber in einer Mischung aus Rührung und Ekstase in sein Bordmikrofon. Vor einem halben Jahr hatte er sich bei einem Unfall mit dem Mountainbike das Bein gebrochen, und es war bis kurz vor Saisonstart nicht klar, ob er seine Karriere würde fortsetzen können.

Webbers Teamkollege, der sein Neffe sein könnte, musste sich da schon Mühe geben, die Mundwinkel nicht hängen zu lassen. Sebastian Vettel rauschte beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring als Zweiter durchs Ziel. Eher enttäuscht als erleichtert, weil er sich ähnliche Hoffnungen gemacht hatte wie Webber. "Es war ein schwieriger Tag", sagte Vettel fast tonlos, "beim Start wurde ich überrumpelt, die Autos kamen von links und rechts." Als Vierter gestartet, verlor er zwei Plätze. Besonders das Kers-betriebene Auto des am Ende drittplatzierten Ferrari-Piloten Felipe Massa brachte ihn an den Rand der Verzweiflung: "Immer wenn ich dachte, jetzt habe ich ihn, hat er den Kers-Knopf gedrückt, und ich hatte keine Chance."

Wie er sich vor seinen Fans bemühte, nicht allzu zerknirscht zu wirken, das erinnerte stark an seinen Entdecker Michael Schumacher. Der Rekordweltmeister verbrachte nach einer Jungfernfahrt mit der neuen Achterbahn im angrenzenden Erlebnispark "Nürburgring 2009" den Nachmittag lässig Kaugummi kauend am Kommandostand von Ferrari.

Immerhin nahm Vettel in der WM-Wertung seinem Rivalen Jenson Button vier Punkte ab und verkürzte den Rückstand auf 21. Nun eröffnen sich erstaunliche Perspektiven für die zweite Saisonhälfte, wenn man bedenkt, dass nach den ersten sechs Rennen Button fast schon als Champion ausgerufen wurde.

Für Perfektionist Vettel war das Wochenende gleichwohl mehr eine Niederlage gegen den Teamkollegen als ein Sieg über Button. In der Qualifikation erwischte der Wahlschweizer das falsche Timing. Als er zum letzten Mal den Kurs umrunden wollte, waren die zehn Minuten schon abgelaufen. "Ich dachte, mir bliebe noch Zeit für eine Runde", haderte Vettel. Gestern rückte er seine Ansprüche zurecht. "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich bin mit dem zweiten Platz zufrieden."

Der zweite Doppelsieg für sein Red-Bull-Team hintereinander markiert aber eine Trendwende, wie auch Konkurrent Ross Brawn eingestehen musste: "In Silverstone haben sie einen ziemlich großen Schritt nach vorn gemacht. Sie sind mit ihrem Auto davongezogen, und wir müssen unser Bestes geben, um den Schaden zu begrenzen."

Barrichello widersetzte sich tapfer Webbers Startmanöver und schob sich an dem Schnellsten der Qualifikation vorbei, der Australier kassierte für seinen Rammstoß zudem eine Durchfahrtsstrafe. "Das mache ich normalerweise nicht, ich habe ihn nicht gesehen", versicherte Webber.

Trotz der Strafe fuhr er einen klaren Vorsprung auf Vettel und die Brawn-Fahrer heraus, die Reifenprobleme hatten. Mitte des Rennens übernahm Webber die Führung und gab sie nicht mehr her.