Seit fast einer Woche läuft die Tour de France, und noch immer ist kein Dopingfall nach außen gedrungen. Ist das nun eine gute Nachricht?

Seit fast einer Woche läuft die Tour de France, und noch immer ist kein Dopingfall nach außen gedrungen. Ist das nun eine gute Nachricht? Wohl kaum. Spätestens seit der Affäre um Marion Jones wissen wir, dass Dopingkontrollen allein nicht ausreichen. Man muss weiter befürchten, dass der letztjährige Bergkönig Bernhard Kohl recht hatte mit seiner Einschätzung, dass man die Tour nicht sauber gewinnen kann.

Diese Erkenntnis ist in zweierlei Hinsicht niederschmetternd. Zum einen zeigt sie, wie erfolglos das Vorgehen gegen Betrug im Radsport bisher war. Und, was noch schwerer wiegt: Kohls Äußerungen geben all jenen im Feld eine Legitimation, die weiterhin dopen.

Darin liegt für mich der Kern des Problems: Es reicht eben nicht, einzelne Fahrer auffliegen zu lassen. Wer es mit der Bekämpfung des Dopings ernst meint, muss mit dessen Strukturen, aber auch mit der Mentalität brechen und vor allem das Umfeld in den Blick nehmen. Bjarne Riis als bekennender Dopingsünder dürfte nie und nimmer ein Profiteam führen. Wie soll denn ein junger Sportler glauben, dass man es ernst meint mit dem sauberen Sport? Der aber muss das Ziel sein - und nicht, möglichst wenig positive Kontrollen zu haben.

Die Hemmschwelle zu dopen ist im Peloton niedrig wie eh und je. "Solange man nicht auffliegt, ist es kein Betrug": Diesen psychologischen Verarbeitungsmechanismus kann ich bei meinen Aktivitäten der Korruptionsprävention auch in der Wirtschaftskriminalität beobachten. Ohne diesen Selbstbetrug würde die Gewissenslast für diese Sportler irgendwann unerträglich.

Der Schaden ist schon jetzt immens. Viele seriöse Sponsoren sind ausgestiegen, und die Rennställe und Veranstalter tun sich keinen Gefallen damit, sie durch neureiche Unternehmen aus Osteuropa zu ersetzen. Immer mehr Zuschauer - nicht nur in Deutschland - wenden sich ab. Das Comeback eines Lance Armstrong mag der Tour öffentliche Aufmerksamkeit einbringen; für die Glaubwürdigkeit des Rennens ist es eine Katastrophe. Rund fünf Jahre nach seinem ersten Toursieg 1999 ist laut Berichterstattung in eingefrorenen Urinproben Epo gefunden worden. Wie soll ich da glauben, dass er heute sauber ist?

Man fragt sich, was noch passieren muss, damit der Profi-Radsport die Kurve kriegt und die nötigen Konsequenzen zieht. Dabei könnte er sich doch ein Beispiel nehmen am Vorgehen der Reiterlichen Vereinigung. Seit den Olympischen Spielen in Peking wurde ein umfassendes Anti-Doping-Programm eingeleitet. Die nationalen Kader aufzulösen war ein ebenso mutiger wie richtiger Schritt. Dass trotzdem weitere positive Fälle aufgeflogen sind, zeigt aber, wie lang und schwierig auch dieser Weg ist.

Einen solchen Willen zum wirklichen Neuanfang vermag ich im Radsport nicht zu erkennen. Vor meinem Rücktritt als Verbandspräsidentin vor fünf Jahren war ich im Kampf gegen Doping intern an Grenzen gestoßen. Diesen Kampf aber kann man nicht allein gewinnen, man braucht Mitstreiter, die bereit sind aufzuräumen.

Heute verfolge ich das Geschehen bei der Tour de France nicht einmal mehr als Fernsehzuschauerin. Früher war ich so naiv zu glauben, dass die Mehrzahl der Spitzenfahrer sauber ist. Das glaube ich jetzt nicht mehr.

Sylvia Schenk (57) war 2001 bis 2004 Präsidentin des Bunds Deutscher Radfahrer.