Nach dem Sieg über Ruslan Chagaev hat der Ukrainer ein Problem: Ihm fehlen echte Gegner.

Gelsenkirchen. Als alle Lobpreisungen ausgesprochen waren, hatte der neue unumstrittene Weltmeister im Schwergewicht etwas klarzustellen. "Hiermit bestätige ich, dass Vitali Klitschko der beste Schwergewichtler der Welt ist", sagte Wladimir Klitschko, "und den Kampf zwischen uns wird es definitiv niemals geben." Es war eine Klarstellung, deren zweitem Teil es nicht bedurft hätte, schließlich müssen sich die Brüder an ein Versprechen halten, das sie ihrer Mutter einst gaben. Und dennoch war sie die selbstironische Antwort auf eine Frage, die immer wieder gestellt werden wird mit Blick auf die derzeitige Ära der Königsklasse des Berufsboxens. Wer, wenn nicht der große Bruder, soll Wladimir Klitschko besiegen?

Es war eine beeindruckende Demonstration der Stärke gewesen, die der 33 Jahre alte Ukrainer in der mit 61 000 Fans ausverkauften Veltins-Arena und vor 10,23 Millionen bei RTL (50,6 Prozent Marktanteil) aufgeführt hatte gegen den weltweit als drittbesten Schwergewichtler anerkannten Ruslan Chagaev. Mit einem technischen K. o. in Runde zehn hatte Klitschko seine WM-Titel nach Version von IBF und WBO verteidigt gegen den WBA-Weltmeister aus dem Hamburger Universum-Stall, der seinen Titel nicht einsetzen durfte (siehe Text unten rechts). Schon in Runde zwei war der 30 Jahre alte Usbeke nach einer rechten Geraden zum ersten Mal in seiner Karriere zu Boden gegangen. Nach einer Serie von schweren Kopftreffern in Runde neun entschied sein Trainer Michael Timm dann in der Pause, seinen hoffnungslos unterlegenen Schützling nicht mehr ins Feuer zu schicken.

Beeindruckend war vor allem die Leichtigkeit, mit der Klitschko seine Faustarbeit versah. 14 Tage Vorbereitungszeit waren ihm geblieben, um sich nach der Absage des ursprünglich als Gegner vorgesehenen Briten David Haye, der wegen einer Rückenblessur ausfiel, auf den Rechtsausleger Chagaev einzurichten. Selbst als der 109 Kilogramm schwere Zweimeterhüne merkte, dass sich sein 15 Zentimeter kleinerer und sieben Kilogramm leichterer Gegner auf seinen Paradeschlag, die als Gerade geschlagene linke Führhand, eingestellt hatte, konnte er mühelos mit der Rechten zum Erfolg kommen, die er schon in der zweiten Runde häufiger eingesetzt hatte als in vielen Kämpfen zuvor bis zum Schluss.

Chagaev versuchte, mutig zu sein und Klitschko zu attackieren, doch wenn er mal zum Körper durchgekommen war und die Distanz überbrückt hatte, schaffte er es nicht, den linken Kopfhaken über die lauernde Rechte ins Ziel zu bringen. So wirkte er wie ein kleiner kläffender Hund, der sich lässig vom Hosenbein abschütteln ließ. "Ruslan hat alles versucht, aber ich war besser", sagte Klitschko, "ich habe alles gegeben, aber nicht alles gezeigt.". "Das war der beste Wladimir, den ich je gesehen habe", lobte Chagaevs Promoter Klaus-Peter Kohl. "Mein Bruder ist wie Wein, er wird mit dem Alter immer besser", lobte Vitali.

Man kann erahnen, wie viel Balsam auf die geschundene Seele all diese Worte gewesen sein mussten für den Mann, der in der Stunde seines wohl größten Triumphs an seinen schwärzesten Moment dachte. "Vor sechs Jahren, als ich von Corrie Sanders ausgeknockt wurde, war ich am Boden dieses Sports. Damals habe ich mir geschworen, dass meine vielen Kritiker irgendwann ihre Worte fressen müssten", sagte Klitschko, der sich besonders darüber freute, dass die während des Kampfes ob der Einseitigkeit verhaltene Stimmung in der Arena nach dem Urteil in frenetischen Jubel umschlug. So viele klare Treffer gibt es bei Schalke-Spielen eben nicht zu sehen. Seinem Ziel, der Champion des Volkes zu werden, ist Klitschko mit diesem Sieg einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Die Frage aber bleibt: Wer kann ihn noch stoppen? Haye, mit dem Klitschko in der Form von Sonnabend den Ringboden gewischt hätte, gilt als Wunschgegner Vitalis für dessen nächste Verteidigung seines WBC-Titels, die am 19. September möglicherweise in der Frankfurter Commerzbank-Arena geplant ist. Kein Thema ist zunächst der Russe Nikolai Valuev, der nach Hayes Absage Wunschkandidat gewesen war. "Wir haben ihn als ersten kontaktiert, er hat als erster abgesagt. Er hat kein Herz", sagte Klitschko. So warten also die Pflichtherausforderer. Bei der IBF der Russe Alexander Powetkin aus dem Berliner Sauerland-Team, bei der WBO Universums Ukrainer Alexander Dimitrenko. Beide gelten als chancenlos.

Und so wird sie wohl noch lange gestellt werden, diese Frage, die auch Wladimir Klitschko nicht zu beantworten weiß. "Mein härtester und bester Kampf steht noch bevor", sagte er auf Schalke zum wiederholten Mal. Wenn er seine Gegner weiter so seziert, dann wird sein härtester Kampf der, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden und abzutreten mit dem Titel, den er verdient: Als bester Schwergewichtler seiner Zeit.

Interviews und ein ausführlicher Bericht über Vitali Klitschko auf www.abendblatt.de/sport