Am Sonntag war für Michael Timm Entspannung angesagt.

Hamburg - Auf der Motocross-Strecke in Grevesmühlen ließ der 46 Jahre alte Boxtrainer aus dem Hamburger Universum-Profistall ein Wochenende ausklingen, das zwei faustdicke Überraschungen bereit gehalten hatte. Am Sonnabendmorgen hatte Timm erfahren, dass sein Schützling Ruslan Chagaev am 20. Juni in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen gegen Wladimir Klitschko antreten darf. Am Abend dann verteidigte der von ihm trainierte Halbschwergewichts-Europameister Jürgen Brähmer in Oberhausen seinen Titel gegen den Italiener Antonio Brancalion durch technischen K. o. in der ersten Runde.

"Das war ein verrückter Sonnabend", sagte Timm, "aber nach dem verkorksten Pfingstwochenende war das für uns alle wie ein Befreiungsschlag." An Pfingsten hatte Chagaev in Helsinki seinen WBA-Schwergewichts-WM-Titel gegen den Russen Nikolai Valuev aus dem Berliner Sauerland-Team verteidigen sollen. Der Kampf war jedoch unter dubiosen Umständen abgesagt worden, weil der finnische Verband fürchtete, von Chagaev ginge als Träger von Hepatitis-B-Antigenen eine Ansteckungsgefahr aus.

Nachdem am vergangenen Mittwoch dann auch Klitschkos für Gelsenkirchen vorgesehener britischer Gegner David Haye wegen einer Rückenverletzung den Kampf absagte, kam Chagaev als Ersatzgegner für den IBF/WBO-Doppelchampion aus der Ukraine ins Gespräch. Klitschko-Manager Bernd Bönte und Universum-Chef Klaus-Peter Kohl einigten sich nach harten Verhandlungen in der Nacht zu Sonnabend. "Noch sind die Verträge nicht unterschrieben, aber Herr Kohl und ich haben uns mündlich geeinigt, und unter uns zählt das Ehrenwort", sagte Bönte. Kohl sagte: "So ein großer Kampfabend in Deutschland musste gerettet werden." Sowohl Bönte als auch Kohl hoben die Bereitschaft beider Kämpfer, sich kurzfristig auf einen neuen Gegner einzustellen, hervor. "Beide wollten den Kampf, beide haben in erster Linie an den Sport gedacht und erst danach ans Geld. So muss es im Sport sein", sagte Kohl. Die angebliche Ansteckungsgefahr habe nie eine Rolle gespielt.

Ob Chagaev gegen Klitschko seinen WBA-Titel aufs Spiel setzen darf, soll heute Abend feststehen. Der Weltverband WBA, der sich ursprünglich am Sonnabend zu den Vorfällen von Helsinki hatte äußern wollen, bat die Parteien aufgrund der Tragweite der Entscheidung um Aufschub. Bönte sagte: "Alle Experten rechnen damit, dass die WBA bei einem solchen Mega-Event nicht außen vor bleiben will. Aber auch ohne Titel ist Chagaev der beste Gegner, den Wladimir haben kann."

Während sich Klitschko bis 14. Juni im Tiroler Promi-Hotel "Stanglwirt" nun auf einen Rechtsausleger umstellen muss, wird Chagaev morgen im Wandsbeker Universum-Gym ins Sparring einsteigen. "Für Ruslan ist die Umstellung nicht so groß, er war ja schon seit vergangenen Montag wieder im Training und hatte sich auf einen großen Normalausleger vorbereitet", sagt Timm, der sich mit dem 30 Jahre alten Usbeken vor allem darüber freute, "dass Wladimir uns die Chance gibt, bei so einem großen Kampf dabei zu sein".

Vor einer großen Chance steht auch Brähmer. Den frühen Sieg gegen Brancalion hatte er zwar nicht erwartet, dennoch war er die passende Bewerbung für einen zweiten Angriff auf die WM, nachdem der 30 Jahre alte Schweriner im vergangenen November klar an WBA-Weltmeister Hugo Hernan Garay gescheitert war. Möglich wäre, dass Brähmer am 26. September gegen seinen Stallkollegen Zsolt Erdei (Ungarn), der den WBO-Titel hält, antritt. Timm würde jedoch ein Duell mit dem rumänischen WBC-Weltmeister Adrian Diaconu favorisieren. "Das wäre für uns alle ein weiterer Traumkampf", sagte er. (bj)