Ringarzt Walter Wagner erklärt abendblatt.de exklusiv, wie er die plötzliche Kampfabsage einschätzt und wie er dazu steht.

Helsinki. Abendblatt: Herr Professor Wagner, können Sie die Absage des Kampfes nachvollziehen?

Walter Wagner: Ich bin sehr bestürzt, dass es zur Absage gekommen ist. Aber ich kann sie nachvollziehen. Das Problem ist, dass die Weltverbände keine einheitliche Regelung für medizinische Tests haben, sondern die Verantwortung in die Hände der nationalen Verbände legen.

Abendblatt: Dann erklären Sie bitte das Problem.

Wagner: Es gibt unterschiedliche Auslegungen der Ansteckungsgefahr, die von Hepatitis B ausgeht. Ich habe in Deutschland Kämpfe von Chagaev sanktioniert, weil die Untersuchungen seit Jahren einen Wert ergaben, der eine Ansteckungsgefahr praktisch ausschließt. Der Test in Finnland hat nun ergeben, dass Chagaev in einem Bereich liegt, in dem es eine kleine Gefahr gibt. Das verwundert mich, denn die Werte waren jahrelang unverändert. Aber ich bin kein Internist, kann diese Feinheiten nicht genau erklären.

Abendblatt: Fakt ist aber, dass der Kampf in Deutschland auch mit den Werten des finnischen Tests sanktioniert worden wäre?

Wagner: Ja, in Deutschland hätte der Kampf stattgefunden, weil ich nach Rücksprache mit Experten davon ausgehe, dass eine Ansteckung nahezu ausgeschlossen werden kann.

Abendblatt: Hätte eine Impfung Valuev nicht schützen können?

Wagner: Das hätte sie, aber er ist nun mal nicht geimpft. Ich dränge seit Jahren darauf, dass alle Boxer weltweit nur eine Lizenz erhalten dürfen, wenn sie gegen Hepatitis B geimpft sind. Aber diese Pflicht gibt es bislang leider nicht.

Abendblatt: Ist es aber nicht so, dass das Problem bei Chagaev schon seit Jahren bekannt ist? Hätte man da nicht vor Monaten schon impfen können?

Wagner: Das hätte man, aber die Tests in Deutschland legten ja nahe, dass die Gefahr einer Ansteckung nicht gegeben war. Ich hatte vor vier, fünf Wochen bereits das Problem angesprochen und dem finnischen Verband angeboten, dass ich als Ringarzt die Verantwortung für den Kampf übernehme. Das wurde von Verbandsboss Pertti Augustin abgelehnt, weil die Tests bei Chagaev keine Auffälligkeiten ergeben hatten. Ich habe die Sache dann nicht weiter verfolgt.

Abendblatt: Halten Sie es für denkbar, dass der Kampf extra in Finnland stattfinden sollte, weil dort die Bedingungen strikter sind als in Deutschland?

Wagner: Das halte ich für ausgeschlossen.