Ruslan Chagaev muss lachen, als er sich an ein Detail aus dem März 2007 erinnert.

Hamburg - Damals war sein Trainer Michael Timm im Training oft auf eine Kiste gestiegen, um den Größenunterschied des usbekischen Schwergewichts-Boxprofis zu seinem Gegner Nikolai Valuev zu simulieren. Die Fotos waren durch alle Medien gegangen. Chagaev galt vor seinem ersten Duell mit dem russischen Goliath nicht nur ob seiner fast 30 Zentimeter geringeren Körperlänge als David, sondern auch, weil er Herausforderer war und Valuev Weltmeister der World Boxing Association (WBA). Es folgte am 14. April in Stuttgart ein verdienter 2:1-Punktsieg, der David war neuer Weltmeister und erster Bezwinger Valuevs.

An diesem Sonnabend (23 Uhr, ARD live) steht in der Hartwall-Arena von Helsinki nun die Revanche an. Die Geschichte von David und Goliath ist dafür nicht mehr aktuell. Natürlich hat Chagaev im Sparring viel mit Menschen von mehr als zwei Meter Körperlänge gearbeitet, darunter war mit Julius Long gar ein Sportler, der den 2,13 Meter großen Valuev noch um drei Zentimeter überragt. Der David will der 30-Jährige trotzdem nicht mehr sein. "Ich bin der wahre WBA-Weltmeister, und das werde ich allen beweisen", sagt er.

Das muss er auch, schließlich geht es in Helsinki um genau diese Frage. Derzeit werden sowohl Chagaev als auch Valuev (35) als Weltmeister geführt. Zweimal hatte Chagaev das Rematch absagen müssen, im Frühjahr 2008 wegen einer Grippe, im Juli dann wegen eines Achillessehnenrisses im linken Fuß. Der Weltverband erlaubte Valuev, um den vakanten Titel zu kämpfen, und erklärte ihn nach einem Sieg über John Ruiz (USA) zum Weltmeister. Chagaev galt bis zu seinem Comeback im Februar als "Weltmeister im Wartestand". Nachdem er in Rostock Carl Davis Drumond (Costa Rica) besiegte, wurde der Zusatz "im Wartestand" gestrichen.

Der im Alltag stets zurückhaltend auftretende Usbeke wird zornig, wenn man ihn auf die Kapriolen des Verbandes anspricht. "Valuev hat mich nie besiegt, also gehört mir der Titel", sagt er. Gleichwohl sehnt er die Revanche herbei. Natürlich haben ihn die Sticheleien aus Valuevs Berliner Sauerland-Team geärgert, das bei der Pressekonferenz als Ausrichter für die Beschriftung der Namensschilder zuständig war und dort unter seinem Namen den Zusatz "im Wartestand" nicht streichen ließ. "Ich fand das respektlos", sagt er. Davon beeindrucken lassen will er sich dennoch nicht.

Dass die Anspannung vor dem zweiten Duell mit Valuev größer ist als normal, hat Trainer Timm beobachten können. Erstmals seit Chagaev im Herbst 2003 in Hamburg anheuerte, bezogen Coach und Schützling ein Trainingslager in einem Nobelhotel an der Hamburger Stadtgrenze. Chagaev selbst hatte auf eine 14-tägige Auszeit von Ehefrau Viktoria und den Söhnen Artur (5) und Alan (1) gedrängt, um sich in aller Ruhe vorbereiten zu können. In Helsinki logiert das Team seit Sonntag in einem privaten Apartment zehn Kilometer außerhalb der Stadt. Seine Teilnahme am Pressetraining sagte Chagaev ab. "Ruslan ist konzentriert und motiviert wie noch nie", sagt Timm, der mit seinem Sportler intensiv an einem Spezialschlag gefeilt hat, der selbst engsten Vertrauten nicht bekannt ist. "Wir wollen Valuev ein wenig überraschen", so der Coach.

Chagaev selbst erwartet von seinem Gegner keine Überraschungen. "Es mag sein, dass er seit unserem ersten Duell besser geworden ist. Aber das gilt auch für mich. Wir haben drei verschiedene Pläne und sind auf alles vorbereitet", sagt der tief gläubige Moslem, der insgeheim auf einen K.-o.-Sieg spekuliert. Dieser wäre der Schritt zu weltweiter Berühmtheit, immerhin hat noch niemand den "russischen Riesen" zu Boden schlagen können. Für Chagaev wäre es zudem der fehlende Schritt auf dem Weg zu einem Duell mit einem der Klitschko-Brüder, die die WM-Titel der anderen drei Verbände unter sich aufteilen.

Noch immer träumt er davon, einen von ihnen in seiner Heimat Usbekistan herauszufordern, die er seit einem Jahr nicht besucht hat. Er hat die bewegenden Jubelszenen nicht vergessen, die sich in den Straßen Taschkents abspielten, als er nach dem Sieg über Valuev als Champion heimkehrte. Sie sind ein weiteres Detail, das Ruslan Chagaev zum Lachen bringt, und der Ansporn, in Helsinki mehr als nur eine Revanche zu gewinnen. (bj)