Die weltbeste Springreiterin Meredith Michaels-Beerbaum sprach exklusiv mit dem Abendblatt über die weibliche Hand, süße Sünden, Doping und den Obama-Effekt.

Abendblatt:

Frau Michaels-Beerbaum, können Weltklassereiter eigentlich Freunde sein?

Meredith Michaels-Beerbaum:

Ich glaube schon. Wir kennen uns alle gut, sehen uns praktisch jedes Wochenende bei Turnieren, reisen gemeinsam durch die Welt. Der Neidfaktor ist gering.

Abendblatt :

Dennoch sehnt mancher Rivale die Zeit herbei, in der Sie Mutter werden und Pause machen müssen. So wie Janne Friederike Meyer und Carsten-Otto Nagel scherzhaft nach Ihrem Triumph am Donnerstag.

Michaels-Beerbaum:

Solche Späße finde ich lustig und gut. Ich habe immer öffentlich gesagt, eines Tages eine Familie gründen zu wollen. Es läuft sportlich jedoch so gut, dass zur Umsetzung bisher kein Raum war.

Abendblatt:

Sind die Nachwuchs-Pläne denn ad acta gelegt?

Michaels-Beerbaum:

Nein, keinesfalls. So richtig feste Pläne haben wir aber nicht. Der Wunsch nach einer Familie ist dennoch unvermindert stark und als Frau merke ich auch den Druck der Zeit.

Abendblatt:

Nun haben Sie im Springreitsport bekanntlich so ziemlich alles gewonnen. Nur das Deutsche Derby in Hamburg scheint Sie nicht zu reizen ...

Michaels-Beerbaum:

Der Reiz ist groß, damit hat das nicht zu tun. Einmal war ich ja auch dabei. Wir machten zwei Fehler und wurden Achte. Mein Schwager Ludger meinte anschließend, mein Gesicht hätte die Farbe weißen Papiers gehabt. Das Derby ist schwer, man muss mutig sein. Außerdem müsste man sein Pferd gezielt darauf vorbereiten. Ich konzentriere mich lieber auf den Großen Preis am Sonnabend.

Abendblatt:

Sie sind also nicht mutig genug?

Michaels-Beerbaum:

Doch, durchaus. Dennoch ist und bleibt unser Sport gefährlich. Profis, die behaupten, sie hätten nie Angst, lügen. Ich habe mir dreimal das Schlüsselbein gebrochen und einmal offene Frakturen an Schien- und Wadenbein erlitten. Danach ist es schwer, die Furcht zu überwinden. Und man muss sich entscheiden: Will ich diese Angst hinter mir lassen, kann ich damit leben? Ich habe Ja gesagt, neuen Spaß gewonnen und das Vertrauen in meine Pferde ausgebaut. Dabei hilft mir übrigens auch ein Mentaltrainer, der mir von Ronny Teuber (ehemals Torwarttrainer des HSV, d. Red.) empfohlen wurde.

Abendblatt:

Lehrbücher vermitteln, der Reiter müsse immer Boss sein - sonst sei er chancenlos. Sind Sie im Sattel der Boss?

Michaels-Beerbaum:

Ich bin nicht unbedingt der Boss-Typ. Ich pflege ein super Verhältnis zu meinen Pferden, favorisiere die partnerschaftliche Art. Kommunikation und ein gutes Verhältnis sind mir sehr wichtig. Männer setzen mehr Kraft ein; das ist der alte, deutsche Stil. Ich reite leichter, das ist der amerikanische Stil - und suche mir passende Pferde.

Abendblatt:

Gibt es so etwas wie eine weibliche Hand?

Michaels-Beerbaum:

Ich denke schon. Ich glaube, dass ich eine weiche Hand habe, setze eine Menge auf Gefühl und Intuition, ziehe nicht viel am Zügel.

Abendblatt:

Sind Sie so etwas wie eine Pferdeflüsterin?

Michaels-Beerbaum:

Ein bisschen vielleicht. Es ist eben eine ganz besondere Beziehung zwischen Reiter und Pferd.

Abendblatt:

Jahrzehntelang galt der Springreitsport als Männerbündnis. Sie waren die erste Frau im deutschen Kader. Wie haben Sie das geschafft?

Michaels-Beerbaum:

Ich hätte mir nie erträumt, einmal in diese Männerwelt reinzurutschen. Es ging Schritt auf Schritt, und es verlangte einen Bundestrainer mit Mumm. Das war Herbert Meyer. Im Laufe der Zeit habe ich mir Respekt erarbeitet. Immerhin bin ich jetzt mit kleinen Unterbrechungen seit 23 Monaten Erste der Weltrangliste. Manchmal sitze ich allein bei einer Tasse Kaffee, denke nach und frage mich selbst: Meredith, wie hast du das eigentlich gemacht?

Abendblatt :

Apropos Nachdenklichkeit. Wie beurteilen Sie das Dopingproblem in Ihrem Sport?

Michaels-Beerbaum:

Wir sind keine Tierquäler! Wenn ich zum Beispiel die Pferde auf unserem Hof in Thedinghausen betrachte: Es ist dort das beste Leben, das ein Tier haben kann.

Abendblatt:

Was ja nicht heißt, dass es grundsätzlich keine Dopingfälle in Deutschland gibt.

Michaels-Beerbaum:

Die ganze Diskussion basiert ja auch auf dem Problem, dass die Regeln undurchsichtig sind. Pferde sollten den gleichen Regularien wie andere Hochleistungssportler unterliegen. Es muss klar sein: Was ist medizinisch notwendig, was ist Doping. Lösungsansätze wären regelmäßige Kontrollen auch zwischen den Turnieren sowie ein offenes Buch für jedes Pferd.

Abendblatt:

Derzeit kocht das Thema Doping bei Olympia 2008 in Hongkong wieder hoch. Warum?

Michaels-Beerbaum :

Ich glaube, dass es da persönliche Animositäten gibt. Natürlich haben die Reiter dort auch Fehler gemacht. Aber ich wiederhole: Klare Regeln verhindern Irrtümer.

Abendblatt:

Themenwechsel. Sie wuchsen in Los Angeles auf - und leben nun in Thedinghausen. Niedersachsen statt Kalifornien. Ein gewisser Kontrast ...

Michaels-Beerbaum:

Aber ein reizvoller. Ich bin ein California-Girl, reise mehrfach jährlich nach Amerika. Wer nach Thedinghausen kommt, sieht den Einfluss. Unser Haus betreffend, aber auch meine Note beim Kochen. Andererseits behauptet mein Mann, ich sei deutscher als die Deutschen.

Abendblatt:

Wie kommt er darauf?

Michaels-Beerbaum:

Er meint, ich sei sehr genau, ehrlich, offen, pünktlich und ehrgeizig. Damit hat er nicht ganz unrecht.

Abendblatt :

Seit Ihrer Hochzeit mit Markus Beerbaum vor zehn Jahren sind Sie deutsche Staatsbürgerin. Bei welcher Hymne schlägt ihr Herz intensiver?

Michaels-Beerbaum:

Ein bisschen schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Als ich in Göteborg den Weltcup gewann und der Chor das Deutschlandlied sang, war es ein wunderschönes Gefühl. Bei Olympia im vergangenen Jahr war mir erstmals ein wenig traurig zumute, als ich die Hymne meines Geburtslandes hörte. Schließlich hatte ich als kleines Kind davon geträumt, später einmal für die USA an den Sommerspielen teilzunehmen. Aber so wie es jetzt ist, so ist es gut.

Abendblatt:

Sie haben Politikwissenschaften an der Elite-Universität Princeton studiert. Mit Sport hat das wenig zu tun.

Michaels-Beerbaum:

Ich hatte ja auch nicht im Entferntesten daran gedacht, mal Springreitprofi zu werden. Wenn ich in den USA geblieben wäre, hätte ich mich garantiert der Politik gewidmet. Eigentlich wollte ich da Karriere machen. Ich wollte immer schon die Welt sehen. Wer weiß, vielleicht wäre ich anstelle von Hillary Clinton jetzt ja für die Demokraten Außenministerin.

Abendblatt:

Vermissen Sie einen Obama-Effekt in Deutschland?

Michaels-Beerbaum:

Ich halte Obama für einen außergewöhnlichen Menschen, der Amerika Hoffnung bringt. Es wird spannend, was er erreichen kann im aktuell schwierigen Umfeld. In Deutschland war es schon ein großer Schritt, eine Frau zur Kanzlerin zu wählen. Ich bin ein Merkel-Fan. Es gibt auch hier immer mehr Yes-we-can-Menschen. Langsam kommen wir dahin.

Abendblatt:

Sie sind sehr aktiv, leben gesund, halten Ihre 50 Kilogramm, widmen ein Großteil des Lebens dem Sport. Verraten Sie uns ein paar kleine Laster?

Michaels-Beerbaum:

Ich habe ein Faible für Mode oder lege immer mal wieder einen Beauty-Tag ein. Außerdem liebe ich gutes Essen. Von den süßen Sünden ganz zu schweigen. Das Frühstück im Hotel begann heute mit einem Schoko-Muffin. Ohnehin: Bei Schokolade werde ich schwach.

Abendblatt:

Was betört Sie an Hamburg?

Michaels-Beerbaum:

Eine Freundin wohnt in der Nähe und alle sechs Wochen fahren wir in die Innenstadt: Friseurbesuch, gut Essengehen, Geld ausgeben ...

Abendblatt:

Finale Frage: Wer gewinnt das Springderby?

Michaels-Beerbaum:

Ich glaube, dass es André Thieme zum dritten Mal in Folge schaffen kann. Auch Carsten-Otto Nagel zählt zu den Favoriten. Schade, dass mein Schwager Ludger Beerbaum auf einen Start verzichtet, weil er mit seinem Pferd Goldfever in der 2. Qualifikation oben auf dem Wall stehenblieb.