Der Respekt war spürbar. Als die Spieler des Club Balonmano Ciudad Real am Freitagabend gegen 19.30 Uhr zum Abschlusstraining die Color-Line-Arena...

Hamburg. Der Respekt war spürbar. Als die Spieler des Club Balonmano Ciudad Real am Freitagabend gegen 19.30 Uhr zum Abschlusstraining die Color-Line-Arena betraten, ließen sie ihre Blicke andächtig durchs weite Rund schweifen. In Spanien wird Handball in weit kleineren Hallen gespielt, und einigen der Weltstars des amtierenden Champions-League-Siegers mögen noch die Anfeuerungsrufe in den Ohren geklungen haben, die den HSV vor einem Jahr beinahe ins Finale getragen hätten. Die Lautstärke in der hochdramatischen Schlussphase der Begegnung streifte damals die Schmerzgrenze und ließ das Team aus der königlichen Stadt, das am Ende sechs seiner sieben Tore Vorsprung aus dem Hinspiel eingebüßt hatte, fast noch straucheln. Die Hamburger aber hatten in diesem denkwürdigen Halbfinale endgültig die Herzen ihrer Fans erobert.

Am heutigen Sonnabend (17 Uhr, Color-Line-Arena, Eurosport live) treffen der HSV Hamburg und BM Ciudad Real, zwei der besten Handballmannschaften der Welt, erneut im Halbfinale der Champions League aufeinander. Diesmal ist es das Hinspiel, und es ist an den Hamburgern, in Vorlage für das Treffen am kommenden Sonnabend in Spanien zu treten. "Es gibt verschiedene Meinungen, ob es letztlich ein Vorteil ist, das erste Spiel in eigener Halle zu bestreiten", sagt Ciudad Reals Trainer Talant Dujshebaev, "ich hätte lieber das erste Spiel zu Hause gehabt. Ich habe so meine Erfahrungen damit gemacht, die erste Partie auswärts zu spielen, und die waren nicht immer gut."

Ob die Trümpfe wirklich aufseiten der Hamburger liegen, bleibt abzuwarten. Das bisher wichtigste Spiel der Saison fällt ausgerechnet in eine Phase, in der beim HSV die allgemeine Verunsicherung erneut um sich gegriffen hat. Nach dem holprigen Start in die Bundesliga schien der Selbstfindungsprozess in den vergangenen Monaten abgeschlossen zu sein. Jetzt haben zahlreiche Verletzungen die Tektonik des Teams wieder verschoben. Jüngster Ausfall: Kreisläufer und Abwehrkante Dimitri Torgowanow wird mit einer Außenbanddehnung im Knie fehlen. Ob der Franzose Bertrand Gille nach seinem Rippenbruch mit einem Brustpanzer aufs Feld zurückkehrt, entscheidet sich kurz vor dem Anwurf. Gille will, Trainer Martin Schwalb auch, die Mannschaftsärzte Oliver Dierk und Mathias Hock hatten am Freitag keine Bedenken.

Nach zwei Auswärtsniederlagen in der Bundesliga in Mannheim und Flensburg und dem Rückfall auf Tabellenplatz drei ist der Druck von Präsident Andreas Rudolph auf Mannschaft und Trainer gestiegen, das finale Erscheinungsbild dieser Spielzeit mit Erfolgen in der Champions League und im deutschen Pokal (9./10. Mai) zu verschönern. "Wir haben den besten Kader in der Geschichte unseres Vereins", sagt Rudolph und knüpft an diesen zu Recht entsprechende Erwartungen. Ein Titelgewinn würde viel Druck aus dem Kessel nehmen.

Dass der HSV die erwartet dominierende Rolle in der laufenden Serie zu selten spielt, hat vielfältige Gründe:

Pascal Hens (linker Rückraum) hat nach seinem Schienbeinkopfbruch im vergangenen August bei Olympia in Peking bis heute nicht seine einstige Form gefunden. Sein Spiel lebt von seiner Dynamik, und in diesem Bereich fehlen ihm weiter zehn Prozent. Das können genau jene ein, zwei entscheidenden Tore sein, mit denen Hens seiner Mannschaft oft genug aus der Bredouille half. Im rechten Rückraum hindern Marcin (Meniskusoperation) und Krzysztof Lijewski (chronische Probleme in beiden Sprunggelenken) körperliche Malaisen an der vollen Entfaltung ihres großen Potenzials.

Spielmacher Guillaume Gille wiederum leidet unter Überlastung. Dem französischen Olympiasieger und Weltmeister waren in den vergangenen zwei Jahren nur kurze Pausen vergönnt. Das rächt sich jetzt. Bruder Bertrand, in Angriff und Abwehr zentraler Baustein im taktischen Mosaik von Trainer Schwalb, muss wie im Vorjahr die entscheidenden Wochen der Saison verletzt durchstehen.

Fit sind die beiden Torhüter, Johannes Bitter und Per Sandström aber waren zuletzt nicht der erhoffte Rück-Halt. Ein Weltklasseteam wie Ciudad Real wird nur dann zu besiegen sein, bieten Bitter und Sandström an ihrem Arbeitsplatz Höchstleitungen.

Kehrt Torsten Jansen (Adduktorenprobleme) ins Team zurück, muss sich Schwalb wenigstens um seine Außen keine Gedanken machen. Links ist auf Jansen Verlass, rechts auf Hans Lindberg und Stefan Schröder sowieso. Auch an der Einstellung aller gibt es keine Zweifel. Die Mannschaft wird, wie Hens verspricht, "bis zum letzten Schweißtropfen kämpfen".

Eine andere Einstellung würden die Zuschauer ohnehin nicht zulassen. Die Fans könnten der Garant sein, dass der HSV Geschichte schreibt - und erstmals das Finale der Handball-Champions-League erreicht.