Als Europapokalsieger jubelten ihm die Menschen zu. Doch als er Hamburg verließ, begann seine schwerste Zeit. Heute arbeitet er im Sicherheitsdienst.

Hamburg. Pünktlich um 14 Uhr erscheint er zum Dienst am Büroeingang Alter Wall 2, keine hundert Schritte vom Rathausmarkt entfernt, um die Kollegin von der Frühschicht abzulösen. Auch an diesem Tag. Die Geschäftsleute aus dem Gebäude, das der Hypo-Vereinsbank gehört, hetzen an ihm vorbei. Ein schneller Gruß hier, ein kurzes Winken da. Wenn überhaupt. Nur wenige ahnen, dass diesem freundlich-zurückhaltenden Sicherheitsmann, der hinter der Scheibe des kleinen Raumes am Empfang sitzt, einmal Zehntausende zugejubelt haben.

Um 19 Uhr schließt Klaus Zaczyk die Tür ab und begibt sich auf seinen Rundgang durch die drei Häuser. Er schließt alle Fenster, knipst die Lichter aus und überprüft die Kellerräume. Wenn es in diesen drei Stunden bis zum Arbeitsende still wird rund um den 63-Jährigen, bleibt viel Zeit zum Nachdenken. Denn sein größter Schatz sind die Erinnerungen.

Als die Bundesliga 1963 startete, war der Mann mit der seltenen Mixtur in seinem Nachnamen - fünf Konsonanten, nur ein Vokal - mit 18 Jahren drei Monaten und 13 Tagen der jüngste Spieler aller Mannschaften. Am dritten Spieltag debütierte er im Dress des Karlsruher SC ausgerechnet gegen Uwe Seelers HSV. Die Partie ging vor 55 000 Zuschauern 0:4 verloren, doch das riesige Talent des laufstarken Mittelfeldspielers konnte sich nicht verstecken.

Zaczyk war ein oberschlesisches Flüchtlingskind. Zwei Wochen nach dem Kriegsende 1945 in der österreichischen Steiermark geboren, im Keller eines Wirtshauses. Der Vater? Wurde irgendwo von den Engländern gefangen gehalten.

Die Familie strandete in einem hessischen Dorf bei Marburg. Früh wurde dem kleinen Zaczyk klar: "Von diesem Ort aus werde ich mit dem Fußball die Welt erobern."

Seine kräftigen Oberschenkel trugen ihn durch alle Jugend-Auswahlmannschaften, bis der KSC auf ihn aufmerksam wurde und ihn förderte. Mit Erfolg: Am 22. Februar 1967 nominierte ihn der damalige Bundestrainer Helmut Schön für das Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Marokko - ausgerechnet in Karlsruhe. "Als Lothar Ulsaß sich verletzte, sagte Schön in der Pause zu mir: Klaus, zieh' dir die Jacke aus. Mir lief es kalt den Rücken herunter, das war Gänsehaut pur."

Für den damals 21-Jährigen sollte es der Höhepunkt seiner Karriere werden. Acht Minuten nach Wiederanpfiff köpfte Zaczyk das 3:1, am Ende siegten die Deutschen 5:1. Nach dem glanzvollen Debüt glaubte Zaczyk natürlich, es würden weitere Länderspiele folgen. Ein Irrtum. Schön machte ihm immer wieder Mut, gab ihm aber nie wieder eine Chance.

Seinen Ruhm holte sich Zaczyk in der Bundesliga ab. In 15 Jahren absolvierte er 400 Spiele und erzielte 61 Tore. Mit dem HSV, für den er von 1969 bis 1978 spielte, wurde er 1976 Pokalsieger und Vizemeister und 1977 sogar Europapokalsieger. Doch zum Einsatz kam er im Endspiel gegen Anderlecht nicht, weil Kuno Klötzer taktisch umstellte und die elf Männer der Anfangsformation durchspielen ließ. "Richtig freuen konnte ich mich über den Finalsieg nicht, für mich blieb ein Nachgeschmack. Ich habe mich versteckt, konnte nicht feiern."

Die Meisterschale hielt er nie in den Händen. Erst 1979, ein Jahr nach seinem Wechsel zu Hessen Kassel, schaffte der HSV Platz eins. Als ihn in jungen Jahren Serienmeister Bayern München verpflichten wollte, hatte er gerade in Hamburg verlängert.

Zaczyk ist ein guter, konzentrierter Erzähler. Als ob er bei Bedarf ein Video starten könne, ruft er die alten Szenen ruckelfrei ab, obwohl sie Jahrzehnte zurückliegen. Die Pizza, die in einem Restaurant des Europa-Centers vor im dampft, rührt er kaum an.

Die Geburt seines Sohnes Andre beispielsweise "fiel auf einen Mittwoch", 5:2 hat er an diesem Augusttag 1973 mit dem HSV gegen Schalke 04 gewonnen. Zaczyk kann präzise die Vereine schildern, für die er bis zu seinem 47. Lebensjahr noch die Schuhe schnürte. Mit Kassel stieg er 1980 von der Oberliga in die Zweite Liga auf, mit 40 holte er mit CSC 03 Kassel die deutsche Vize-Amateurmeisterschaft. "Leider hatten wir schon lange vorher zum Saisonende eine Mannschaftsreise nach Mallorca gebucht. Auf die entscheidenden Finalspiele wurde keine Rücksicht genommen. Als ich ein freiwilliges Training am Strand ansetzte, kam nur ein einziger Spieler."

Beim VfB Bettenhausen, dem SV Epterode und dem FC Großalmerode (alle bei Kassel) ließ er die Karriere ausklingen - und seine schwerste Lebensphase begann. Seine Ehe zerbrach, die Scheidung war hässlich und teuer. Tochter Nicole zog nach Hamburg, der Sohn blieb bei ihm. Die Filialdirektion der Versicherung, die ihn mit den Provisionen zweier großer Firmen nach Kassel geködert hatte, um ihm beim Aufbau einer beruflichen Existenz zu helfen, kündigte ihm den Bestand . "In der Kneipe mit viel Alkohol auf Vertragsabschlüsse zu lauern, das konnte ich nicht. Ich musste auch gegen Neider ankämpfen, weil ich privat einen Mercedes fuhr. Bei Kundenbesuchen musste ich mir oft anhören, dass ich ja viel Geld als Profi verdient habe." Also hat er seinen Wagen bald immer ein paar Hundert Meter vorher geparkt.

Immerhin, die Tennishalle mit der Kegelbahn, die er als Pächter mit einem Tennislehrer betrieb, lief gut. Doch irgendwann war auch der Boris-Becker-Boom vorbei. Er zerstritt sich mit dem Geschäftspartner, und bald schmolzen Zaczyks Reserven.

"Ich habe mal hochgerechnet, dass ich in den 15 Profijahren vielleicht zwei Millionen Brutto verdient habe. Das verdienen die Spieler heute in einem halben Jahr." Er sagt es ohne Neid. Dass des Glückes Tod der Vergleich ist, hat einer wie er längst verstanden. "Die Fußballer, die 1963 schon vor dem Karriereende standen, sagten mir: Toll, dass du jetzt noch so jung bist. Die haben damals für 200 Mark gespielt. Oder viel früher einfach für einen Sack Kartoffeln. Ganz ehrlich: Ich hätte auch ohne Geld Fußball gespielt."

Sein erster Vertrag in Karlsruhe brachte ihm 500 Mark Grundgehalt monatlich ein, das Handgeld für einen Zwei-Jahres-Vertrag betrug 5000 Mark. "Ich weiß noch, alleine die Wohnungseinrichtung nach meiner Hochzeit 1967 hat 20 000 Mark gekostet. Man kann unterm Strich sagen, dass ich in den ersten vier Jahren nichts über hatte."

1995, 17 Jahre nach seinem Wechsel vom HSV zu Hessen Kassel, entschloss sich Zaczyk zum Neubeginn. Er kehrte nach Hamburg zurück, arbeitete ein halbes Jahr im Außendienst für Heinrich Höper (Delta-Fleisch), hing einige Zeit beruflich und privat in der Luft. Doch dann die Wende: Bei der Mitgliederversammlung des HSV im Curio-Haus 1996 lernte er Udo Bandow kennen. Der damalige Vorstandssprecher der Vereins- und Westbank verschaffte dem gelernten Werkzeugmacher einen neuen Job - als Fahrer für die vier Vorstände.

Ein Jahr später traf er Martina im Norderstedter Herold-Center. 2005 heirateten sie und leben heute in einer 98-Quadratmeter-Wohnung in Sasel. Als sein Arbeitgeber 2003 in die Hypo-Vereinsbank integriert wurde, wechselte er in den Sicherheitsdienst der Bank.

17 Monate bis zum Rentenbeginn wird Zaczyk noch mit der S-Bahn jeden Tag in die Innenstadt fahren und seinen Dienst verrichten. Dass er nicht dem Klischee des (golfspielenden) Wohlstands-Fußballpensionärs entspricht, macht ihm überhaupt nichts aus. "Nichts zu tun, wäre mir zu langweilig. Was ich mache, ist nicht so anstrengend. Mir macht die Arbeit Spaß. Ich bin kein materieller Mensch. Wenn ich genug zum Leben habe, bin ich zufrieden. Was würden mir Millionen nützen, wenn ich nicht gesund wäre?" Hier in Hamburg ist er glücklich. "Ich wurde aufgenommen wie in einer Familie und habe das Gefühl, ehrliche Menschen um mich herum zu haben."

Auf die Idee, viele Chancen verpasst zu haben, würde er nie kommen, weil er so lebt, wie er früher als Fußballer gespielt hat. "Im Pokalendspiel 1976 musste ich mich wegen meiner schlimmen Achillessehnen-Reizung spritzen lassen. Doch nach einer Stunde hatte ich solche Schmerzen, dass ich raus musste. Aber keiner hat mitbekommen, wie ich auf die Zähne beißen musste. Ich war nie ein Typ, der lange liegen geblieben ist nach einem Foul. Das wäre mir peinlich gewesen." Kein Wunder, dass einer wie er moniert, dass es heutzutage viel mehr Schwalben gibt als früher: "Auch bei Fouls bleiben die Spieler länger am Boden."

Zaczyk lässt sich die kalt gewordene Pizza einpacken. Zu spät die Arbeit anzutreten, kommt nicht infrage. Beim Hinausgehen erwähnt er fast beiläufig noch, dass er kürzlich zum vom DFB gegründeten "Club der Nationalspieler" eingeladen wurde. Doch seine blitzenden Augen verraten ihn. Eine größere Freude hätte man Zaczyk selbst mit viel Geld nicht kaufen können.