Der Mecklenburger vergibt seine erste WM-Chance. Sein Promoter versucht, den Rückschlag positiv zu sehen.

Rostock. Die Schwellungen um seine Augen begannen, sich deutlich abzuzeichnen. Doch für einen, der kurz zuvor verpasst hatte, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen, gab Jürgen Brähmer ein erstaunliches Bild ab. Äußerlich ungerührt und mit der stoischen Ruhe eines Mecklenburgers sprach der 30 Jahre alte Halbschwergewichts-Boxprofi aus dem Hamburger Universum-Stall einen Satz aus, der in seiner Schlichtheit das vorangegangene Geschehen in der Rostocker Stadthalle mustergültig zusammenfasste: "Der Herr Garay war heute einfach besser als ich", sagte Brähmer, und weil dieser Analyse kaum etwas hinzuzufügen wäre, könnte man die Niederlage, die der Schweriner gegen WBA-Weltmeister Hugo Hernan Garay aus Argentinien nach zwölf überraschend einseitigen Runden erlitten hatte, eigentlich zu den Akten legen. Vielleicht könnte man sich noch fragen, wo Punktrichter Merdado Villalobos aus Panama hingeschaut hatte, als er den Kampf nur mit 116:115 für Garay wertete, während seine Kollegen mit 117:112 und 118:110 wesentlich näher an der Wahrheit lagen.

Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, diesen Kampf einfach so abzuhaken, denn für Universum war er ein krasser Rückschlag im Bemühen, das Vakuum an deutschen Quotenbringern mit einem neuen Gesicht zu füllen. Brähmer, vor seinen insgesamt fast fünf Jahre währenden Gefängnisaufenthalten als Jahrhundert-Talent gepriesen, ist einer der größten Hoffnungsträger von Universum-Chef Klaus-Peter Kohl. Erst Anfang dieses Jahres war er ob der besseren Zukunftsperspektiven ins Halbschwergewicht aufgestiegen, und dass er bereits in seinem zweiten Kampf in dieser Gewichtsklasse um die WM boxen durfte, war nicht nur der Ungeduld des Sportlers geschuldet, der "endlich um etwas Richtiges" kämpfen wollte, sondern auch dem Drängen von Öffentlichkeit und TV-Partner ZDF, die nach neuen deutschen Helden lechzen.

Garay hat mit Universum einen mehrere Kämpfe umfassenden Vertrag, der Kohl ermöglichte, den 27-Jährigen in seiner ersten Titelverteidigung gegen Brähmer antreten zu lassen. Er habe zwar "eine Niederlage einkalkuliert", so Kohl später, dass sie jedoch derart eindeutig ausfallen würde, war nicht geplant. Brähmer fand vor 4500 Fans nie in den Kampf, weil Garay von Beginn an dessen rechte Führungshand neutralisierte und ihm seinen gnadenlosen Vorwärts-Stil aufdrängte. "Garay hat unsere taktische Marschroute zerstört", kommentierte Trainer Michael Timm. Der Argentinier selbst erklärte, er sei überrascht über Brähmers starke Physis gewesen, habe aber "von Beginn bis Ende klar dominieren wollen, weil ich in Deutschland zwei schlechte Erfahrungen mit Punkturteilen gemacht habe". Im Mai 2004 und im Februar 2005 hatte er gegen Universums ungarischen WBO-Weltmeister Zsolt Erdei knappe Punktniederlagen erlitten.

Zwar bemühte sich Kohl im Anschluss, die Vorführung kleinzureden ("Jürgen wird daraus lernen, noch härter arbeiten und ganz bestimmt Weltmeister werden"), doch wer ihn und sein Team vor dem Kampf in ungewöhnlicher Anspannung beobachtete und dann sah, wie er und Timm nach dem Kampf minutenlang betroffen ins Leere starrten, der kann ermessen, wie groß der Rückschlag tatsächlich war.

Brähmer selbst gab zu, dass "der Sprung in diese Gewichtsklasse vielleicht etwas zu groß" war, dennoch sei es richtig gewesen, die Chance wahrzunehmen. "Es war eine wichtige Erfahrung. Niederlagen gehören dazu, und ich bin jetzt noch viel motivierter, weil ich gesehen habe, dass ich von Tempo und Schlagkraft her mithalten kann und dass ich noch eine Menge Luft nach oben habe." Seine Gelassenheit ist umso verständlicher, wenn man weiß, dass Kohl, der viel Geld in den "lebenslänglich" unter Vertrag stehenden Athleten investiert hat, ihn auch mangels Alternativen weiter pushen wird. Garays Manager Oswaldo Rivero versprach, jederzeit für ein Rematch zur Verfügung zu stehen. Auch ein Stallduell mit Erdei, der seinen Titel am 10. Januar in Magdeburg voraussichtlich gegen den Ukrainer Yuri Barashian verteidigt, wäre eine Möglichkeit. Brähmer wird also weitere Chancen erhalten, um sich den Lebenstraum zu erfüllen. Er muss jetzt lernen zuzugreifen.