Er hüllte sich ein in den Union Jack, die britische Fahne - und konnte die Tränen der Rührung nicht mehr unterdrücken. Was für ein Triumph. Er hat...

São Paulo. Er hüllte sich ein in den Union Jack, die britische Fahne - und konnte die Tränen der Rührung nicht mehr unterdrücken. Was für ein Triumph. Er hat es doch noch geschafft. Lewis Hamilton. Der erste schwarze Weltmeister.

Nach zehn Jahren Ausbildung bei McLaren-Mercedes und nur anderthalb Prinzenjahren in der Königsklasse ist er an seinem Bestimmungsziel angekommen, ganz so, als ob Formel-1-Weltmeister ein anerkannter Lehrberuf wäre. Die umstrittenen letzten Rennen beweisen: Er hat sich nicht nur an die rauen Sitten gewöhnt, er will die Gegner zwingen, sich ihm anzupassen.

Die zweite Saison hat er gebraucht, um sich richtig zu emanzipieren. Zu lernen, Provokationen nicht zu fürchten, sondern zu nutzen. Es ist sein vielleicht größtes Talent, auch unter schwierigsten Bedingungen das Maximale herausholen zu wollen. Selbst wenn er am Willen zur Perfektion fast zerbrochen wäre. Darob hat er verinnerlicht, wie man vorn in der Formel 1 sein muss: egoistisch bis zur Selbstverleugnung.

Dass diese Kompromisslosigkeit nicht immer der beste Weg ist, hat er öffentlich zu spüren bekommen, auch als Verkehrssünder ist er führend, und seine Freunde in der Kollegenschaft kann er an einer Hand abzählen. Aber wie könnte er anders? Er hält es da wie seine Vorbilder Michael Schumacher oder Ayrton Senna, die genau wie er polarisieren. Hamilton sagt nur: "Wenn sie mich nicht mögen, dann liegt das vielleicht daran, dass sie mich nicht kennen."

Er ist seit dem Großen Preis von Brasilien nicht nur der Beste, sondern auch das Beste, was der Königsklasse passieren konnte. Endlich einer mit Charisma, der sich rührend um seinen an Kinderlähmung leidenden Bruder Nicolas kümmert. Auch in São Paulo war Nicolas wieder an seiner Seite.

Und dann dieses gewinnende Lächeln. So könnte man - trotz Zahnlücke - selbst Schwiegermütter für den Motorsport begeistern. Der 23-Jährige kann so charmant sein - und so brutal. Also brutal charmant, was auch fürs Verhalten auf der Piste gilt. "Ich habe meinen Sohn zur Exzellenz erzogen", sagt Anthony Hamilton, der leibliche Vater. Der sportliche Erziehungsberechtigte heißt Ron Dennis. Beide wollte Lewis, der als Kind hyperaktiv war, nicht enttäuschen.

Der innere Antrieb, das ist die Champion-Tugend. Ein Schnäppchen-Weltmeister ist er nicht mehr. Die 500 000 Euro Fixum aus dem Debütjahr haben sich um den Faktor 22 erhöht, mit dem Titel im Portfolio rechnen die Werbestrategen aus, dass er im Verlauf seiner Motorsportkarriere zum ersten Dollar-Milliardär der Branche werden kann.

Die Frage nach der Hautfarbe wird - nach der anfänglichen Neugier - in der Formel 1 schon lange nicht mehr gestellt. Mentor Dennis hat ihm früh eingeschärft: "An dem Tag, an dem du dich über diese Rolle definierst, bekommst du ein Problem mit mir." Vielleicht besitzt er den Obama-Faktor, den Willen zur Veränderung hat er. Ob ihn der Titel verändert, wird auch daran abzulesen sein, ob die Sehnsucht in seiner Villa am Genfer See immer noch den Fajitas daheim bei Muttern gilt - oder ob er lieber in die Pussycat-Doll-Welt seiner Freundin Nicole Scherzinger eintaucht.

Als ihn PR-Strategen in dieser Saison an Seilen durch ein Amphitheater schweben ließen, spielte er nicht mehr mit: Als Marionette will er sich nicht vorführen lassen. Er hat ja schon genug damit zu tun, nicht als Klon zu gelten. Manchmal möchte man ihn in der Tat schütteln, so perfekt und vernünftig gibt er sich bei jeder Gelegenheit - und wirkt dabei doch noch so jugendlich.

Jetzt die richtige Balance zu behalten wird die schwierigste Hausaufgabe sein. Ein guter Verteidiger ist er nicht, eher ein ewiger Angreifer. Bei all den Fluchten nach vorn stellt sich nur die Frage, ob er schon bei sich angekommen ist? "Ich wünsche mir manchmal, noch mal die gleiche Reise anzutreten", hat er kürzlich einmal gesagt. Ein Mann, der seine Träume überholen will.