Hamburg. Wenn Klaus Görges wissen will, welche berufliche Entwicklung seine Tochter Julia nimmt, muss der Versicherungskaufmann aus Bad Oldesloe normalerweise den Computer einschalten. Im Internet verfolgt er dann, wie Deutschlands derzeit sechstbeste Tennisspielerin sich auf den Courts der Welt durchschlägt. In dieser Woche jedoch kann das Gerät abgeschaltet bleiben: Die 19-Jährige kämpft vor der Haustür um Weltranglistenpunkte. Bei den Hamburg Ladies Open ist Görges an Nummer zwei gesetzt - und als Lokalmatadorin neben der topgesetzten Angelique Kerber (Kiel) das Zugpferd der Veranstaltung.

"Zu Hause übernachten zu können und Familie und Freunde um sich zu haben ist ein besonderes Gefühl", sagt die Hartplatzspezialistin. Und ein seltenes dazu: Der enge Turnierplan verhindert häufigere Besuche in der Heimat, wo sie noch für Wahlstedt in der Zweiten Bundesliga antritt, ebenso wie der Umzug zum niedersächsischen Landesstützpunkt in Hannover, wo sie während der Trainingsphasen mit Coach Björn Jacob ein Zimmer bewohnt.

Görges hat einen großen Sprung gemacht in den vergangenen Monaten. Der ersten Grand-Slam-Teilnahme im September in New York, wo sie in Runde eins der Weltranglistenersten Justine Henin (Belgien) unterlag, folgte im Februar der erste Auftritt im Fedcup in den USA mit einer Niederlage gegen Lindsay Davenport. Derlei Erfahrungen sind es, die ihr in diesem Jahr zum Sprung von derzeit Rang 122 unter die Top 100 verhelfen sollen. "Aus Niederlagen gegen die Großen lernt man mehr als aus manchen Siegen", sagt Görges, die an ihrer Konstanz arbeiten will: "Gute Spielerinnen zeichnet aus, dass sie auch an schlechten Tagen gewinnen. Da muss ich hinkommen."

Dass der Name Steffi Graf noch immer allgegenwärtig ist und das deutsche Damentennis oft totgesagt wird, ringt der 1,80 Meter großen Athletin, die früher Grafs Rivalin Martina Hingis bewunderte, nur ein müdes Lächeln ab. Für sie sei das keine Bürde, vielmehr könne man im Schatten anderer Sportarten in Ruhe wachsen und sich entwickeln.

Es sind Sätze wie diese, die die 19-Jährige erstaunlich abgeklärt wirken lassen. Sie sagt viele Sätze, die professionell klingen, aber letztlich nichts darüber verraten, wie sie wirklich tickt. Dass sie das Gymnasium nach der 10. Klasse mit dem Realschulabschluss verließ, um sich zu 100 Prozent dem Leistungssport zu widmen, spricht für ihre Zielstrebigkeit. Und dass sie in Boulevardzeitungen ob ihrer Vorliebe für extravagante Fotoshootings als "schöne Julia" betitelt wird, ist der modebewussten Single-Frau mit dem akkurat gestylten Fingernägeln so lange recht, "wie das Aussehen nicht in den Mittelpunkt gerückt wird: "Ich will in erster Linie als gute Sportlerin wahrgenommen werden."

Und das nicht nur auf dem Tennisplatz: Seit die begeisterte Skifahrerin vor einigen Jahren ein Biathlon-Rennen im TV sah ("Heute bin ich Freak!"), wünscht sie sich, die neue Boomsportart einmal selbst auszuprobieren. Bei ihrem Ehrgeiz ist nicht auszuschließen, dass sich Magdalena Neuner und Co. dann ganz warm anziehen müssten.