Beim gestrigen Adventskaffee hatte Regina Halmich zum ersten Mal Zeit, ihr neues Leben auf sich wirken zu lassen.

KARLSRUHE. Am Freitagabend hatte die WIBF-Weltmeisterin im Fliegengewicht in der dm-arena ihre beispiellose Karriere mit einem Punktsieg über Hagar Finer aus Israel beendet, diesen bis fünf Uhr mit fast 1000 Gästen auf der VIP-Party gefeiert und nach knapp sechs Stunden Schlaf den kompletten Sonnabend dazu verwendet, der Geschenkeflut Herrin zu werden. "Ich musste erst mal klar Schiff machen", sagte die 31-Jährige.

Dieser Hang zum Perfektionismus, der Halmich stets die Arbeit vor das Vergnügen setzen lässt, ist der Wesenszug, der die deutsche Box-Queen aus dem Hamburger Universum-Stall zu dem gemacht hat, was sie bis Freitagabend war: eine Vorzeigesportlerin, die im Ring immer nur den Vorwärtsgang kannte, die sich und die Gegnerinnen nie schonte und die keiner Aufgabe aus dem Weg ging. Es war die eindrucksvollste Erkenntnis aus ihrem 56. Profikampf, dass Halmich sich mit Finer keine handverlesene Kontrahentin für einen lockeren Abgesang geladen hatte, sondern eine Gegnerin, die giftig und übermotiviert die Musik nicht nur mitspielte, sondern teilweise bestimmte.

Zwar zog Halmich den unter dem Eindruck des engen Faustgefechts - Punktrichter Esa Lehtosaari aus Finnland hatte es remis gewertet, seine zwei Kollegen knapp für Halmich - geäußerten Dopingvorwurf ("Nehmt eine gründliche Dopingprobe von der!") gestern im Gespräch mit dem Abendblatt zurück. Doch wer die martialischen Gesten und die weit aufgerissenen Augen der 23-Jährigen gesehen hatte, der konnte eines mit Sicherheit ausschließen: dass sie zum Verlieren gekommen war. "Regina hat nur überlebt, weil der Ringrichter einige Male dazwischengegangen ist", sagte Finer, die sich nach dem Kampf bei Universum-Chef Klaus-Peter Kohl als Nachfolgerin Halmichs um einen Vertrag bewarb.

Welch große Lücke die 1,60 m kleine und 50,1 kg leichte Powerfrau im deutschen Sport hinterlassen wird, verdeutlicht ein finaler Blick auf die Fakten. 54 von 56 Kämpfen sowie 45 von 46 WM-Kämpfen hat sie gewonnen. 8,8 Millionen Fans schauten am Freitagabend im Schnitt live im ZDF zu, in der Spitze mehr als zehn Millionen, der Marktanteil lag bei fast 40 Prozent - Quoten, die in Sphären der Fußball-Nationalelf liegen. Am Ring nahmen zahlreiche Prominente unter den 7500 Fans in der ausverkauften Arena Abschied. Von der Stadt Karlsruhe erhielt Halmich eine Plastik, vom Bund Deutscher Berufsboxer als erste Frau die Goldene Ehrennadel und von Universum einen mit 56 Diamanten - für jeden Kampf einen - besetzten Ring, Blumen und eine überdimensionierte Torte. Zudem überlegt Kohl, ihr zuliebe die Position einer Frauenbeauftragten zu schaffen.

Halmich bedankte sich noch im Ring bei "allen, die mich in meiner Laufbahn unterstützt haben". Drei Sätze, die sie im Verlauf des langen Abschiedsabends sprach, verdeutlichten, dass dieser Abschied aus dem Ring tatsächlich ein endgültiger sein wird. "Ich werde nie wieder etwas so gut machen wie das Boxen, aber ich habe neue Aufgaben. Es ist wichtig für mich, das Gefühl zu haben, dass ich gebraucht werde, und das habe ich. Ich werde weiter Sport machen, aber die Boxhandschuhe zunächst nicht mehr anziehen, weil es mich sonst vielleicht wieder in den Fäusten juckt", sagte sie und stellte damit einmal mehr ihre Ehrlichkeit und die Fähigkeit zur korrekten Selbsteinschätzung unter Beweis.

Tatsächlich dürfte das Loch, in das Leistungssportler nach ihrem Rücktritt fallen, für die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin nicht tief sein. Die Karriere als TV-Moderatorin ist vorgezeichnet. Bereits an diesem Donnerstag kommt sie zu einem Moderationscoaching nach Hamburg, wo sie am Freitag (22.40 Uhr) bei ProSieben an der Seite von Stefan Raab als Expertin bei der "Fight Night" des Spotlight-Stalles fungiert. An diesem Abend steht in der Sporthalle in Alsterdorf erstmals Halmichs Titel auf dem Spiel. Ihre designierte Nachfolgerin, die aus Armenien stammende Hamburgerin Susi Kentikian (20), will ihn durch einen Sieg über Nadia Hockmi aus Frankreich gewinnen. "Wenn der Gürtel in der Universum-Familie bleibt und eine sympathische Sportlerin wie Susi mich beerbt, wäre das die Krönung", sagt Halmich. Es wäre der letzte Schritt in das neue Leben, in das sie jetzt hineinfinden muss.