KARLSRUHE. 15 Jahre war Regina Halmich alt, als Jürgen Lutz wußte, daß er es mit einer möglichen Weltmeisterin zu tun hatte. Gemeinsam mit seinem Supertalent war der Kampfsportlehrer zum Training ins renommierte Amsterdamer Chakuriki-Gym gereist. Dort durfte die damals gerade 1,50 Meter große Halmich mit dem zehn Jahre älteren amtierenden Thaibox-Weltmeister Yusuf Belaini Sparring machen. Was als Spaß gedacht war, wurde schnell Ernst. "Der Araber wollte sich gegen eine Frau nicht lächerlich machen, er hat mit aller Macht versucht, sie auszuknocken. Regina war blutüberströmt, ihr weißes T-Shirt war dunkelrot gefärbt. Aber aufgegeben hat sie nicht. Da wußte ich, daß Regina es weit bringen wird", schildert Lutz seine Erinnerung.

Der 53jährige Karlsruher, Vize-Präsident der Women's International Boxing Federation (WIBF), hat sich nicht getäuscht. An diesem Sonnabend (22.30 Uhr, ZDF live) bestreitet Regina Halmich in ihrer Heimatstadt Karlsruhe ihren 50. Kampf als Profiboxerin. Gegen die in 19 Kämpfen unbesiegte Spanierin Maria Jesus Rosa verteidigt die 28jährige ihren WIBF-WM-Titel im Fliegengewicht zum dritten Mal in diesem Jahr. Jürgen Lutz wird als WIBF-Supervisor am Ring sitzen - und sich wie so oft wünschen, im Publikum mitgrölen zu können. "Reginas Kämpfe gehen mir noch immer unheimlich nah. Aber als Supervisor darf ich ja nicht auf einmal anfangen zu klatschen oder zu brüllen."

Lutz, der in Karlsruhe eine 2500 Quadratmeter große Kampfsportschule betreibt, gilt als Halmichs Entdecker. Sie war elf Jahre alt, als sie damals zu ihm kam, um Karate zu lernen. "Sie kam vom Judo, wollte aber mehr Action. Als ich sie in die Kinderkarategruppe stecken wollte, hat sie sofort abgelehnt und ist zu den Erwachsenen gegangen", sagt Lutz. Über Vollkontakt-Karate kam die verbissen arbeitende Kämpferin schnell zum Kickboxen. "Als 14jährige hat sie dann Männer und Frauen reihenweise zu Boden geschickt, aber immer mit den Fäusten. Deswegen wußte ich: Regina muß boxen", schildert Lutz den Moment, in dem Halmichs Karriere den wohl entscheidenden Weg einschlug.

Was den Trainer an der jungen Athletin besonders beeindruckte, war deren eiserner Wille, gepaart mit der Selbstsicherheit, die sie ausstrahlte. "Regina wußte, was sie will, und dafür hat sie alles getan. Sie setzt sich immer durch und wird niemals aufgeben, bis sie ihr Ziel erreicht hat", sagt er. Trotz ihres Erfolges von mittlerweile 38 siegreichen WM-Kämpfen, trotz der enormen Popularität, die ihr regelmäßig TV-Quoten von sieben Millionen beschert, sei die gelernte Rechtsanwalts-Gehilfin trotzdem ein bescheidener, normaler Mensch geblieben. "Das rechne ich ihr hoch an", sagt Lutz.

Gestritten habe er nie mit ihr, unzufrieden war sie höchstens mal, wenn er ihr eine leichte Gegnerin besorgte. "Das haßt sie. Sie will immer die Stärksten boxen." Vielleicht war das Verhältnis auch so harmonisch, weil es nie ums Geld ging; das ist der einzige Fehler, den sich Lutz im Zusammenhang mit Halmich vorwirft. "Als sie mit 18 als Profi zu Universum ging, hätte ich mich an ihrem Erfolg beteiligen lassen sollen. Dann wäre ich heute reich", sagt er mit einem Augenzwinkern.

Noch heute trainiert Halmich in Lutz' Gym, wenn sie in Karlsruhe ist. Dann reden sie über das Boxen im Allgemeinen und über ihre Nachfolgerin im Besonderen. Spätestens Ende nächsten Jahres, so glaubt Lutz, wird "die Kleine", wie er Halmich zärtlich nennt, Schluß machen, "und dann erleben wir den Steffi-Graf-Effekt. Frauenboxen wird immens an Interesse verlieren." Lutz weiß, wovon er spricht. 87 Boxerinnen betreut er derzeit als Matchmaker, 20 Frauen machte er innerhalb der vergangenen Jahre zum Boxprofi, "aber eine wie Regina war nie dabei und wird nie mehr dabei sein." Auch deshalb versucht er, jeden verbleibenden Kampf seines Schützlings zu genießen. Auch wenn es ihm schwerfällt.