Sportgespräch: Heute mit Thomas Knorr vom HSV Hamburg. Der ehemalige Nationalspieler über Regeländerungen, HSV-Trainer Fitzek, Berater, Erfahrungen in der Wildnis und ein Mißverständnis mit Bundestrainer Brand.

ABENDBLATT: Herr Knorr, am Freitag abend startete die Handball-Bundesliga in ihre 29. Saison. Sie gilt als stärkste Liga der Welt. Zu Recht?

THOMAS KNORR: In der Breite auf jeden Fall. In der Bundesliga kann der Erste beim Zwölften oder 14. verlieren. Das wäre in der spanischen Liga, der wohl zweitstärksten, nicht möglich. Die spanischen Topteams, das zeigen die Europapokalergebnisse, sind dagegen noch einen Tick besser als die deutschen.

ABENDBLATT: Was zeichnet die Bundesliga aus?

KNORR: Handball hat in Deutschland große Tradition, in der Liga steckt viel Geld, und wir liegen in der Mitte Europas. Schweden, Dänen, Franzosen kommen gern zu uns, auch, weil sie es nicht so weit nach Hause haben. Hinzu kommen jetzt die großen, attraktiven Hallen. Es macht Spaß, in diesen Arenen zu spielen.

ABENDBLATT: Von der Bundesliga scheint die Nationalmannschaft zu profitieren. Handball ist der zur Zeit erfolgreichste deutsche Mannschaftssport. Was machen die Handballer besser als andere?

KNORR: Vergleiche hinken. Im Fußball, dort sind wir übrigens Vizeweltmeister, gibt es fünf oder sechs starke Ligen, im Handball zwei. Daß das Liganiveau Auswirkung auf die Nationalmannschaft hat, zeigt auch Spanien. Die Spanier sind Weltmeister.

ABENDBLATT: Wir dachten zu hören, daß die Handballer fortschrittlicher trainieren und Talente zielgerichteter fördern.

KNORR: Ich kann nicht über andere Sportarten urteilen, der deutsche Handball jedoch ist im vergangenen Jahrzehnt professioneller und strukturierter geworden. Der Erfolg der Jugendarbeit wiederum hängt für mich im hohen Maße davon ab, welche guten Spieler sich in diesem Bereich engagieren. Je besser das Vorbild, desto besser das Resultat.

ABENDBLATT: Haben sich die Trainingsmethoden in der Bundesliga gravierend geändert?

KNORR: Sie mögen vielfältiger geworden sein, mit fundiertem wissenschaftlichem Hintergrund. Aber auch da muß man vorsichtig sein: Die Erkenntnisse, zum Beispiel wie man richtig dehnen soll, statisch oder dynamisch, ändern sich alle fünf Jahre.

ABENDBLATT: Klingt da Skepsis über moderne Methoden mit?

KNORR: Mein erster Trainer in Bad Schwartau - nach meiner Mutter - war Vlado Stenzel (der Trainer der Weltmeistermannschaft von 1978, die Red.). Wir sind nie aus der Halle herausgekommen. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder so fit war. Ein guter Trainer zeichnet sich für mich durch die Systematik in seiner Arbeit aus, daß er anschaulich machen kann, was er will, und nicht dadurch, daß er jedem Trend auf der Spur ist.

ABENDBLATT: Daß Sie beim HSV mit Athletikcoach Oliver Voigt durch den Stadtpark laufen müssen, halten Sie für übertrieben.

KNORR: Im Gegenteil! Ich hätte mir solche Trainingsformen vor zehn Jahren gewünscht. Sein Programm ist durchdacht aufgebaut und beugt mit zahlreichen Stabilisationsübungen Verletzungen vor. Die Handballer hätten sich weit früher bei Leichtathleten und anderen bedienen sollen.

ABENDBLATT: Und was halten Sie von "Überlebenscamps"?

KNORR: Muß eine Mannschaft, wie die unsere, viele neue Spieler integrieren, sind sie sinnvoll. Ich erinnere an unsere Extrem-Kanu-Tour 2002 unter Trainer Anders Fältnäs. Wir waren bereits mehr als 35 Kilometer unterwegs, hatten aber zuwenig Proviant mitgenommen. Im See gab es nichts zu angeln. Wir hatten Schmerzen vor Hunger. Aber niemand, und das spricht bis heute für den Charakter dieser Mannschaft, hat einen Moment daran gedacht, aufzugeben und Hilfe zu rufen, was möglich gewesen wäre. Daß damals die Integration unserer Franzosen Bertrand und Guillaume Gille sofort gelungen ist und sie schnell Deutsch gelernt haben, führe ich auf dieses gemeinsame Erlebnis zurück. Wir reden noch heute darüber.

ABENDBLATT: Hat diese Erfahrung geholfen, die schwierige Zeit beim HSV, als monatelang Gehälter ausblieben, zu überstehen?

KNORR: Keiner hat ja das sinkende Schiff verlassen, obwohl es im vergangenen Jahr öfter hieß, wenn das und das morgen nicht passiert, ist definitiv Schluß.

ABENDBLATT: Sie haben in Ihrer Karriere zahlreiche Trainer kennengelernt. Wer war der beste?

KNORR: Die meisten waren hervorragend. Von Stenzel habe ich in jungen Jahren das Rüstzeug mitbekommen. Beeindruckt war ich in meiner Zeit in Kiel von Noka Serdarusic, wie er von der Bank aus in kritischen Phasen entscheidenden Einfluß auf das Spiel nehmen konnte. Er hat gespürt, wann die Mannschaft Hilfe braucht. Er hat uns dann Spielzüge diktiert, so daß wir in Phasen beginnender Erschöpfung nicht angestrengt nachdenken mußten, was wir nun machen sollten.

ABENDBLATT: Mit welchem Trainer waren sie weniger einverstanden?

KNORR: Nächste Frage.

ABENDBLATT: Sie wissen, was wir hören wollen.

KNORR: Falls Sie Bob Hanning meinen: Er war in einer für den Verein existentiellen Situation der absolut richtige Mann. Ihm haben wir viel zu verdanken.

ABENDBLATT: Dennoch mußte er im Mai gehen.

KNORR: Wir hatten das Gefühl, daß er uns technisch und taktisch nicht weiterentwickeln kann.

ABENDBLATT: Das war alles?

KNORR: Alles, was ich dazu sage.

ABENDBLATT: Sind Sie gewillt, seinem Nachfolger Christian Fitzek schon ein Zeugnis auszustellen?

KNORR: Er hat ein gutes Feeling für die Mannschaft, ohne dabei die Zügel streifen zu lassen. Ich habe selten so lange trainiert wie unter ihm, bis zu zweieinhalb Stunden. Du merkst aber immer, daß er selbst ein hervorragender Spieler war. Er kann sich in ein Team hineinversetzen.

ABENDBLATT: Was erwarten Sie von dieser Saison?

KNORR: Schon in der vergangenen Serie haben wir am Anfang ganz oben mitgespielt, bis uns das Verletzungspech einholte. Jetzt haben wir einen großen Kader und noch mehr gute Spieler, also sollte ein besseres Resultat herauskommen. Ein Platz unter den ersten fünf ist denkbar.

ABENDBLATT: Was fehlt dem HSV zu Spitzenklubs wie THW Kiel und Flensburg-Handewitt?

KNORR: Nicht viel, Stabilität, ein Erfolgserlebnis. Als wir in Kiel nach mehreren Anläufen 1994 deutscher Meister geworden sind, fielen die Titelgewinne danach wesentlich leichter.

ABENDBLATT: Woran mangelt es dem HSV Hamburg als Verein?

KNORR: Die Strukturen sind jetzt ähnlich wie in Kiel und Flensburg. Mit Andreas Rudolph ist ein Mann Präsident, der sich im Handball auskennt, selbst ein guter Spieler und Trainer war, und im Team den richtigen Ton trifft. Es dauert aber eine gewisse Zeit, bis alle Rädchen ineinandergreifen.

ABENDBLATT: Blicken Sie manchmal neidisch auf die Zuschauerzahlen der Hamburg Freezers?

KNORR: Natürlich hätten wir auch gern ständig eine volle Halle. Wir können mit Erfolgen dazu beitragen, daß wir immer mehr Leute für Handball interessieren.

ABENDBLATT: Auch in einer Großstadt wie Hamburg mit ihren vielfältigen Reizen und Angeboten?

KNORR: Beim Umzug 2002 von Bad Schwartau nach Hamburg sind gravierende Fehler gemacht worden. Man hat sich nicht intensiv genug um Sponsoren und das Umfeld bemüht. Inzwischen sind die richtigen Schritte eingeleitet.

ABENDBLATT: Paßt Handball überhaupt in eine Metropole?

KNORR: Handball ist ein dynamisches, kampfbetontes, spektakuläres Spiel. Es ist massenkompatibel. Ein Freund aus den USA, ein Footballer!, hat mich mal in Kiel besucht und war beeindruckt von dem körperlichen Einsatz - und erstaunt, daß wir ohne Polster und Suspensorien spielen. Er meinte, Handball in dieser zupackenden Form würde auch in den USA auf Interesse stoßen.

ABENDBLATT: Sie spielen Handball seit 15 Jahren auf höchstem Niveau. Was hat sich verändert?

KNORR: Das Spiel ist technisch versierter, athletischer und schneller geworden. Die Typen, die früher nur in der Abwehr eingesetzt wurden, um ihre Gegenspieler ins Gesicht und anderswo zu schlagen, sind Opfer der heute herrschenden Dynamik geworden. Das ist gut so. Dennoch meine ich, Handball droht zu schnell zu werden.

ABENDBLATT: Für Sie?

KNORR: Für die Fans! Durch einige Regeländerungen fallen über schnelle Gegenstöße zu viele einfache Tore, immer nach demselben simplen Schema. Das langweilt, wie ich von Freunden höre, die Zuschauer. Je weniger Treffer fallen, desto höher ist nun mal ihr Wert. Siehe Eishockey und Fußball. Es ist doch viel interessanter anzusehen, wie eine Mannschaft eine komplizierte Spielsituation zu lösen versucht; wenn Systeme aufeinanderprallen und wenn es zum harten Körperkontakt kommt.

ABENDBLATT: Was hat sich im Umfeld geändert?

KNORR: Handball ist als Profisport angekommen. Für schädlich halte ich die Zunahme der Berater. Einige unseriöse haben die Preise in die Höhe und manche Vereine dazu getrieben, über ihre Verhältnisse zu wirtschaften.

ABENDBLATT: Herr Knorr, Ihre erfolgreiche Karriere neigt sich dem Ende zu. Womit sind Sie im Rückblick unzufrieden?

KNORR: Ich hätte gern gewußt, wie meine Karriere verlaufen wäre, wenn ich mir 1994 nicht das Kreuzband gerissen hätte. Damals war ich in der Form meines Lebens und habe dieses Niveau nie mehr ganz erreicht.

ABENDBLATT: Wie kam es dazu, daß sie nach Ihrer Olympiateilnahme 1996 nur noch drei Länderspiele, als Nachrücker bei der WM 2001, bestritten haben?

KNORR: Heiner Brand ist 1997 neuer Bundestrainer geworden. Er lud zu seinem ersten Lehrgang nach Fernost ein. Weil ich aber gerade fast drei Jahre durchgespielt hatte, fragte ich ihn, ob es möglich wäre, dieses eine Mal auszusetzen. Er sagte: "Knorri, das ist kein Problem!"

ABENDBLATT: Es wurde eins.

KNORR: Ich habe danach nichts mehr von ihm gehört. Später wurde mir erzählt, er hätte meine Absage als Desinteresse an der Nationalmannschaft bewertet. Dumm gelaufen. Für den ersten Eindruck kriegt man eben keine zweite Chance.