Der Niederländer van der Vaart war nach seinem Wechsel für 14 Millionen Euro im vergangenen Sommer beim erfolgreichsten Klub der Geschichte viel versprechend gestartet, nur um sich nun in ungeahnten Tiefen wieder zu finden. Bilder von Rafael und Sylvie van der Vaart.

Madrid. Im berühmten weißen Trikot zieht er energisch mit dem Ball los, entschlossen nimmt er zum Freistoss Anlauf. Auf den zwei postergroßen Fotos, die Rafael van der Vaart über dem Sofa im Wohnzimmer aufgehängt hat, ist er immer noch der Lenker und Denker im Spiel von Real Madrid. Ein halbes Jahr, nachdem sie aufgenommen wurden, haben sich nicht die dynamischen Farbbilder verändert; nur der Blick darauf. Man glaubt, sie hätten einen melancholischen Stich erhalten.

Der Niederländer van der Vaart, der sich beim HSV drei Jahre lang als einer der fantasievollsten Fußballer der Bundesliga entfaltete, war nach seinem Wechsel für 14 Millionen Euro im vergangenen Sommer beim erfolgreichsten Klub der Geschichte viel versprechend gestartet, nur um sich nun in ungeahnten Tiefen wieder zu finden: In den jüngsten fünf Spielen wurde er ganze sieben Minuten eingesetzt. Wenn Real am heutigen Dienstag im Champions-League-Achtelfinale beim FC Liverpool einem 0:1-Rückstand aus dem Hinspiel hinterher jagt, wird van der Vaart erneut der Ersatz vom Ersatz vom Ersatz sein. Im zentralen Mittelfeld, seiner Heimat, bevorzugt Reals Trainer Juan de Ramos die zwei Ordnungskräfte Fernando Gago und Lass Diarra. Unterdessen warten die Kreativen auf der Ersatzbank in klarer Hierarchie: erst Guti, dann Wesley Sneijder, schlussendlich van der Vaart. "Ich kämpfe, ich habe Geduld", wiederholt er standhaft; und jedes Mal münden diese Appelle an das eigene Gewissen in dem Satz: "Aber es ist schwierig." Es sind sachliche Worte. Sie haben den Klang der Ohnmacht.

Aus deutscher Sicht hat es etwas Dramatisches, solch eine Begabung auf der Reservebank zu sehen. Aus der Madrider Sicht allerdings ist er nur ein hektisch im Schlussverkauf erworbener Luxus, den Real nun doch nicht richtig braucht. Schon im Sommer offenbarte Reals damaliger Trainer Bernd Schuster, dass er van der Vaart als Reserve verpflichtet hatte: "Letzte Saison fehlte uns Sneijder in Schlüsselmomenten verletzt. Für den Fall, dass sich so etwas wiederholt, haben wir nun Rafa."

Als sich Sneijder zu Saisonbeginn tatsächlich verletzte, durfte van der Vaart übernehmen. Nach drei Spielen hatte er vier Tore geschossen, eines gegen Gijon mit der Hacke. "Ich hoffe, di Stefano hat es gefallen", sagte van der Vaart und alle lachten, weil er nach so kurzer Zeit schon mitbekommen hatte, dass Real-Legende Alfredo di Stefano mit Freude selbst über die schönsten Momente grantelt. Van der Vaarts Frau, die Fernsehmoderation Sylvie, wunderte sich, dass sie in jedem Interview gefragt wurde, ob sie denn Knoblauch möge, irgendwann hakte sie nach und erfuhr, dass David Beckhams Frau, Popstar Victoria, zu ihrer Zeit in Madrid die Nase gerümpft hatte: "In Spanien riecht alles nach Knoblauch." Sie möge Knoblauch, betonte Sylvie, und die van der Vaarts glaubten damals, dass sie in Madrid ähnlich wie in Hamburg die normal gebliebenen Berühmten werden könnten. Wer genau hinblickte, sah schon da: 90 Minuten spielte van der Vaart in der Liga nur ein einziges Mal, am dritten Spieltag gegen Gijon.

"Mal spielst du ein paar Minuten, mal ein paar mehr; vielleicht musst du solch eine Rolle in einem Klub wie Real akzeptieren", sagt er, "aber es fällt mir nicht leicht, mich daran zu gewöhnen. Ich habe immer Sonnabend für Sonnabend gespielt." Einer, der bei Real täglich mit van der Vaart auf dem Trainingsplatz steht, beobachtet die typischen Selbstzweifel eines Fußballers, der erstmals in der Karriere ähnlich Gute oder gar Bessere neben sich weiß: "Im Training spielt Rafa blitzende Pässe. In den Partien nimmt er den Ball - und dann passt er ihn zurück. Er leidet unter Druck."

Irgendwann hören Spieler seiner Klasse auf, an die Angst zu denken, und fangen zu spielen an - doch bei van der Vaart ist längst nicht mehr zu sehen, wann er regelmäßig spielen soll. Es sind zu viele vor ihm. Zudem wird im Sommer bei Real ein neuer Präsident gewählt, 2010 steigt das Champions-League-Finale in Madrid, das garantiert in diesem populistischen Klub die Ankunft eines weiteren flairvollen Mittelfeldspielers. Rafael van der Vaart ist erst 26, er besitzt einen Vertrag bei Real bis 2013. Aber wie lange kann man im Wohnzimmer unter Fotos sitzen, die einen nur daran erinnern, was einmal war und nicht mehr ist?