Martin Jols Team leistet sich zu viele individuelle Fehler. Der HSV-Trainer: “Wir haben uns selbst geschlagen.“

Karlsruhe/Hamburg. Es hätte heute ein so kuscheliges Treffen werden können. Um 17.30 Uhr lädt der neue Aufsichtsrat die Geschäftsstellen-Mitarbeiter im Vereins-Restaurant "Raute" zu einem Kennenlern-Umtrunk ein, danach ist das erste Treffen mit dem Vorstand angesetzt.

Der HSV punktgleich mit Tabellenführer Hoffenheim, acht Punkte Vorsprung auf Nicht-Europacup-Platz sechs, dies hätte die Gesprächsgrundlage für den Funktionärsgipfel sein können. Nein. Müssen. Stattdessen bestätigten die HSV-Spieler, dass sie bis jetzt nur Meister der vergebenen Chancen sind.

"Nach dem Spiel hat mich mein Bruder Senga angerufen und meinte: Ich glaube, Ihr habt Höhenangst", lieferte Collin Benjamin den treffenden Spruch für die schon früher aufgetretene Schwäche der Hamburger, immer dann abzustürzen, wenn der (Bundesliga-)Gipfel ganz nah ist.

Die völlig unnötige 2:3-Niederlage beim KSC mag auf den ersten Blick für Fassungslosigkeit gesorgt haben: Wie kann ein Team, das gegen die Bayern noch so stark gespielt hat, sich nur wenige Tage später so einen Ausrutscher leisten?

Ja, es lag auch an den Fehlern von Michael Gravgaard, der eine Minute nach dem 2:0 mit seinem missglückten Abwehrversuch den Ball zu Freis ablenkte und so die eigentlich schon geschlagenen Badener wiederbelebte. Aber dass Neuzugänge Zeit zur Integration benötigen, ist keine neue Erkenntnis. Auch Alex Silva verpatzte seinen Einstand in Wolfsburg (0:3).

Hinterher ist man immer schlauer, aber: Wäre es womöglich schlauer gewesen, Jerome Boateng in der Abwehr einzubauen und Gravgaard ein paar Tage Eingewöhnungszeit zu geben?

Klar ist: Die alleinige Schuld an der Niederlage hatte der dänische Abwehrspieler sowieso nicht zu tragen. Am Beispiel von Nationalspieler Piotr Trochowski lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie schmal der Grat zwischen dem notwendigen selbstbewussten Auftreten und einer gewissen Leichtsinnigkeit oder sogar Überheblichkeit ist. In Karlsruhe brachte Trochowski den KSC mit einer Vielzahl an Ballverlusten und defensiver Sorglosigkeit zurück ins Spiel. Kein Zufall also, dass er vor dem 2:1 die Flanke zuließ. Auf der rechten Seite hingegen schien Jonathan Pitroipa noch von seinem Bayern-Auftritt zu träumen. Mit fehlender "Zielstrebigkeit und Aggressivität" umschrieb später Sportchef Dietmar Beiersdorfer die Mängel.

Die beim HSV fehlende Konstanz ist eine unverzichtbare Zutat einer Spitzenmannschaft, genau wie ein gewisses Qualitätsniveau, das Collin Benjamin beim 2:3 von Freis vermissen ließ. So viele Standardsituationen vor dem KSC-Tor zu vergeben, darf sich eine Mannschaft, die nach oben schielt, auch nicht erlauben.

Ein echtes Topteam kann sich außerdem nicht diese Auswärtsschwäche leisten. Schon fünf Niederlagen, nur elf von 30 Punkten sind einfach zu wenig. Dass der HSV noch nach Leverkusen, Gelsenkirchen, Stuttgart, Dortmund und Bremen reisen muss, stimmt nicht unbedingt optimistisch, dass der HSV sein Ziel (ein Champions-League-Platz) auch erreicht.

Frank Rost hingegen setzt auf den Lerneffekt: "Verbuchen wir das Spiel unter Erfahrungsschatz", meinte der Keeper mit Recht. Schließlich gehört es auch zu den Qualitäten dieses HSV, nach Negativerlebnissen umgehend die richtige Reaktion zu zeigen.

Nur: Es wäre zu wünschen, dass den Spielern ihre gelernte Lektion länger im Gedächtnis bleibt und sie sich nicht mehr so häufig selbst schlagen. Dass der HSV dominant Richtung Meisterschaft marschiert, erwartet niemand.