Die US-Anti-Doping-Agentur klagt den siebenmaligen Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong an. Nutznießer davon könnte Jan Ullrich sein.

Austin. Kaum hatten Lance Armstrong die Schatten seiner Vergangenheit endgültig eingeholt, ging er auch schon in gewohnter Manier zum Gegenangriff über. Der siebenmalige Toursieger sprach von einer "Hexenjagd", von "Blutrache" und warf der US-Anti-Doping-Agentur (USADA) "Hinterzimmer-Praktiken" vor. Die Wortwahl des Texaners ließ erahnen, wie ernst die Lage um ihn bestellt ist.

Eine der schillerndsten Sportkarrieren steht vor der Entglorifizierung. Zwei Jahre nach dem Abschied von der Radsportbühne wird Armstrong von der USADA wegen Blutdopings angeklagt. Ihm drohen die Aberkennung seiner vielen Erfolge und eine lebenslange Sperre. Der 40-Jährige wurde vorläufig suspendiert. Er darf damit nicht an den von ihm eingeplanten Triathlonwettkämpfen teilnehmen. Armstrong bereitet sich derzeit in Frankreich auf einen Triathlon in Nizza am 24. Juni vor. Für Oktober war zudem eine Teilnahme am Ironman auf Hawaii geplant.

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Die Anschuldigungen gegen Armstrong sind massiv. Laut der 15-seitigen Anklageschrift, die ihm am Dienstag zugestellt worden war, verfügt die USADA über Beweise, die bis ins Jahr 1996 zurückdatieren. Außerdem seien Blutproben aus den Jahren 2009 und 2010 "vollständig deckungsgleich mit manipuliertem Blut einschließlich des Missbrauchs von Epo und/oder Bluttransfusionen". Des Weiteren wird ihm die Einnahme von Testosteron, Corticosteroiden, Wachstumshormonen und demaskierenden Mitteln vorgeworfen.

Die USADA beruft sich bei ihrer Anklage auf die Ergebnisse der zweijährigen Untersuchung durch die US-Staatsanwaltschaft, die gegen Armstrong und weitere Mitglieder des früheren US-Postal-Teams wegen des Verdachts auf Betrug und Missbrauch von Steuergeldern ermittelt hatte. Das Verfahren war im Februar eingestellt worden. Im Gegensatz zur US-Justiz bestehe die Aufgabe der USADA darin, den sauberen Sport zu schützen, und nicht, Strafgesetze durchzusetzen, teilte der USADA-Vorsitzende Travis T. Tygart mit.

Neben Armstrong wurde gegen fünf weitere Personen Anklage erhoben, darunter auch der langjährige US-Postal-Teamchef Johan Bruyneel, der aktuell den mit Stars gespickten Rennstall RadioShack-Nissan leitet. Damit ist ungewiss, ob der Belgier sein Team bei der am 30. Juni in Lüttich beginnenden Tour de France überhaupt anführen wird. Außerdem haben der italienische Dopingarzt Michele Ferrari, die beiden Mannschaftsärzte Pedro Celaya und Luis García del Moral sowie Teamtrainer Pepe Martí Post aus den Vereinigten Staaten erhalten. Der Radsport-Weltverband UCI teilte mit, dass er von den Ermittlungen keine Kenntnis habe. Er habe "die betroffenen Personen" aber gebeten, zu den Anschuldigungen Stellung zu nehmen.

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Armstrong selbst beteuerte seine Unschuld. "Ich habe nie gedopt, und im Gegensatz zu vielen meiner Ankläger habe ich 25 Jahre Leistungssport betrieben, ohne dass plötzlich meine Leistung angestiegen ist. Bei mir wurden mehr als 500 Dopingkontrollen genommen und nicht eine davon war positiv. Dass die USADA diese fundamentalen Unterschiede ignoriert und mich anstelle der überführten Doper anklagt, sagt mehr über die USADA, ihren Mangel an Fairness und ihre Blutrache aus als über meine Schuld oder Unschuld", schrieb er in einer Stellungnahme. Sein Anwalt Robert Luskin bezeichnete die neuen Anschuldigungen als "ein Produkt von Böswilligkeit und Groll ohne Beweise".

Bei den "Anklägern" zielt er in erster Linie auf frühere Teamkollegen wie Floyd Landis oder Tyler Hamilton ab. Sie hatten bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vor der Grand Jury ausgesagt und selbst ein umfangreiches Geständnis abgelegt. Mehr als zehn ehemalige Radsportler oder Betreuer sollen ausgesagt haben, dass Armstrong von 1996 bis 2005 gedopt habe. Er habe Epo und Testosteron genommen, Bluttransfusionen genutzt sowie Doping vertrieben und verwaltet. Die Profis, so heißt es weiter, würden zudem bezeugen, dass der Radstar bereits vor 1996 mit dem menschlichen Wachstumshormon HGH gedopt habe.

Später hatte Armstrong nach seiner Krebsheilung den Radsport, speziell die Tour de France, nach Belieben dominiert. Allein Jan Ullrich, der 1997 noch die Frankreich-Rundfahrt gewonnen hatte, musste dreimal (2000, 2001 und 2003) hinter Armstrong mit Platz zwei vorliebnehmen.

Gut möglich, dass der gebürtige Rostocker, der selbst erst im Februar vom Internationalen Sportgerichtshof CAS wegen seiner Verwicklung in die spanische Dopingaffäre um den Arzt Eufemiano Fuentes bis August 2013 gesperrt worden war, groteskerweise der größte Nutznießer bei einer Verurteilung Armstrongs wäre. Ihm könnten nachträglich drei Tour-Siege zugesprochen werden. "Wir wissen nicht, was noch kommt. Und wir haben ja bei Jan Ullrich gesehen, wie lange solche Verfahren dauern", sagte Ullrich-Berater Falk Nier.

Zeit seiner Karriere haben Dopinganschuldigungen Armstrong begleitet, überführt worden ist er freilich nie. Auch nicht 2005, als die französische Sporttageszeitung "L'Equipe" sechs eingefrorene, positive Proben entschlüsselt und Armstrong zugeordnet hatte. Zu einer möglichen Verurteilung fehlte die B-Analyse. Dies ist jetzt womöglich nicht mehr nötig.