Auf Steffi Grafs Spuren: Die Russin Maria Scharapowa krönt ihr Comeback bei den French Open mit dem Karriere-Grand-Slam

Paris. Auf ihrem Pausenstuhl wartete Maria Scharapowa schon freudestrahlend auf die letzten royalen Momente dieser French Open 2012, als plötzlich eine seltsame Ansage über den Centre-Court ertönte: "Meine Damen und Herren", plärrte es auf einmal blechern aus den Mikrofonen, "begrüßen sie mit mir die Finalistin dieses Championats - Maria Scharapowa." Die Finalistin? Die Verliererin? Scharapowa lächelte nervös, schüttelte verwirrt den Kopf, lächelte noch einmal in die allgemeine Konfusion hinein, ehe die Zeremonienmeister der Grand-Slam-Festivitäten dann endlich die größte anzunehmende Regiepanne aufklärten.

Nein, sie war und blieb es, gefühlt und amtlich: die neue Königin von Paris - jene segensreiche Maria Scharapowa, die nach ihrem souveränen Finaltriumph (6:3, 6:2 gegen die Italienerin Sara Errani) überwältigt und tränenreich auf die Knie gesunken war und die Arme dann gleich so weit ausbreitete, als wolle sie die ganze Welt in ihr Glück einschließen. "Es war der kostbarste Moment in meiner Karriere", sagte die 25-Jährige später, "noch schöner als mein erster Wimbledonsieg."

Acht Jahre nach dem Sensationscoup auf den grünen Tennisfeldern des All England Club hatte der Pariser Coup tatsächlich eine ganz andere sportliche und emotionale Qualität - nicht nur, weil die hochgewachsene Spitzenathletin ihn mit dem gleichzeitigen Sprung auf Platz eins der Tennis-Hitparade und dem vollbrachten Karriere-Grand-Slam (mindestens ein Sieg bei allenMajor-Turnieren) vergoldete. Sondern weil nach einer karrieregefährdenden Schulteroperation vor vier Jahren fast alle Branchenexperten ausschlossen, dass Scharapowa noch einmal eine tragende Rolle auf den Bühnen des Wanderzirkus einnehmen könnte.

"Viele haben mich abgeschrieben, viele dachten, die kommt nicht mehr aus dem Mittelmaß heraus", sagte Scharapowa am Abend ihres denkwürdigen Erfolgs, als sie vor dem Eiffelturm mit dem Silberpokal "Suzanne Lenglen"posierte, "aber ich habe immer nur auf meine innere Stimme gehört. Und die sagte: Du schaffst es noch einmal."

Selbst die Zuneigung des eigensinnigen Pariser Publikums eroberte sie sich zurück in diesem zweiten Tennisleben, das eine einzige zähe Comeback-Anstrengung war - ein verzweifelter Kampf, der vor 34 Monaten auf Platz 126 der Weltrangliste begann und nun auf dem Gipfel endete. "Dass sie diesen Sieg geschafft hat, zeigt nur, welch großartige und komplette Spielerin sie ist", sagte Steffi Graf, am Sonnabend zum Sponsorenbesuch auf dem Roland-Garros-Gelände. Und wirklich: Mit dem Gewinn der Internationalen Französischen Meisterschaften, auf dem einst so ungeliebten Terrain der Sandplatzspezialistinnen, rückte die Russin in den kleinen, feinen Klub der außergewöhnlichen Frauen auf, die überall in der Grand-Slam-Welt gewonnen hatten. Zehn insgesamt sind es nur, in der modernen Ära Steffi Graf, Chris Evert, Margaret Court, Martina Navratilova und Serena Williams.

Mit Spielerinnen wie Williams oder Graf verbindet Scharapowa mehr, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Sie betreibt ihre Arbeit wie jene Ikonen hochprofessionell - und diese Berufswelt ist für sie nicht dazu da, enge Freundschaften zu begründen oder stundenlang in Turnierlounges die neuesten Branchengerüchte mit den lieben Kolleginnen auszuwalzen.

Dass ihr aus dem Spieler-Kartell der weniger Erfolgreichen und weniger gut Verdienenden allerlei Übles nachgerufen wird, stört Maria Scharapowa nicht. Sie lässt die Vorwürfe, sie spiele immer nur auf den besten Plätzen, werde von Turnierdirektoren bis zur Peinlichkeit hofiert, sei der unverdiente Darling der Sponsoren, einfach nicht an sich herankommen. "Sie dreht ihr eigenes Ding, lebt in einer anderen Welt als der Rest. Und zwar gewollt", sagt Navratilova, "sie ist ein Superstar mit allen Facetten." Und dazu gehört auch, dass sie genau wie die Williams-Schwestern oder auch Graf eine eher reservierte Haltung zur Spielergewerkschaft WTA einnimmt. Im Zweifelsfall ist sie sich selbst die Nächste, eisern siegorientiert, nur aufs eigene Fortkommen bedacht.

Ihre Geschäftspartner bedient sie mit ähnlicher Konsequenz und Professionalität. Sind für eine Sponsorenverpflichtung 45 Minuten anberaumt, dann dauert der Termin auch 45 Minuten. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Verkaufsschlager ist die Blondine trotzdem, allein mit Werbeverträgen setzt sie jährlich geschätzte 25 Millionen Dollar um - und hält damit als einzige Sportlerin weltweit mit den männlichen Alphatieren mit. Doch was sie tatsächlich antreibt, hat Scharapowa selbst schon einmal unwiderstehlich klar formuliert: "Die Leute erinnern sich nicht an die Millionen, die du auf dem Konto hast. Sondern an deine Siege." Nun auch an einen Sieg ganz besonders, den Sieg von Paris, der sie im Tennis unsterblich machte.

Die Entscheidung im Herrenfinale muss erstmals nach 39 Jahren wieder am Montag fallen. Das Giganten-Duell zwischen Sandplatzkönig Rafael Nadal und dem Weltranglistenersten Novak Djokovic wurde nach der zweiten Regenpause beim Stand von 6:4, 6:3, 2:6, 1:2 für Nadal verschoben. Der Spanier greift nach dem siebten Titel und würde Sechsfach-Champion Björn Borg damit in seinen Schatten stellen. Der Serbe Djokovic will als erster Tennisprofi seit Rod Laver vor 43 Jahren alle vier Grand-Slam-Titel gleichzeitig halten.