Beachvolleyballerin Anna Behlen vom HSV bringt Spitzenleistung im Sport und in der Schule. Am Alten Teichweg lässt sich beides in Einklang bringen

Hamburg. "Das ist doch eine von diesen Leistungssportlerinnen", raunt der junge Mann, als er Anna Behlen vor ihrer Schule für das Foto posieren sieht. "Ich weiß, Judo", sagt sein Freund. Oder doch Schwimmerin? Hm! Man kann schon durcheinanderkommen bei den vielen jungen Athleten, die an der Stadtteilschule Alter Teichweg aus- und eingehen. Zumal Behlen, 19, in letzter Zeit ziemlich selten da war. Seit einigen Wochen hat sie ihr Abitur in der Tasche, Notenschnitt 1,3. Und seit die Beachvolleyballsaison begonnen hat, ist sie sowieso mehr unterwegs als zu Hause im benachbarten Internat.

Diese Woche ist nicht nur in dieser Hinsicht eine ganz besondere im Leben von Anna Behlen. Beim Supercup der nationalen Smart-Beach-Tour in der HafenCity (Freitag bis Sonntag) hat sie ein Heimspiel. Und erstmals darf sie mit der HSV-Topspielerin Jana Köhler, 26, antreten, der WM-Fünften des Vorjahres. Die ist nach dem Aus im EM-Achtelfinale am vergangenen Wochenende in Den Haag von ihrer Partnerin Julia Sude versetzt worden. Da fügte es sich, dass Behlens Partnerin Sandra Piasecki am Knie verletzt ist und man sich aus dem Training schon kennt.

Mehr als 50 Euro hat Behlen allein im vergangenen Monat vertelefoniert, um eine Ersatzpartnerin zu finden. Aber was ist der Aufwand schon im Vergleich zu dem, den sie in den vergangenen Jahren hatte? Viermal die Woche Training von acht bis zehn Uhr, dann acht Stunden Unterricht, nachmittags und abends wieder Training, Hausaufgaben, am Wochenende Turniere oder, im Winter, Spiele mit der zweiten Mannschaft des VT Aurubis, mit der sie gerade die Meisterschaft der Zweiten Bundesliga Nord gewonnen hat.

So oder ähnlich sieht der Alltag von mehr als 200 Schülern der Dulsberger Eliteschule des Sports (insgesamt rund 1000 Schüler) aus. Ihr Stundenplan ist, so gut es eben geht, auf die Erfordernisse des Leistungssports zugeschnitten. Nicht allen gelingt es so gut wie Anna Behlen, diese beiden Leben in einem unterzubringen. Christian Andresen hat allerdings beobachtet, "dass die meisten Sportler schon Kompetenzen mitbringen, die ihnen helfen, die Schule gut zu bewältigen: Organisationsvermögen, Selbstständigkeit, Motivation, Durchhaltevermögen". Andresen ist als Koordinator der neun Sportklassen am Alten Teichweg Ansprechpartner von Verbandstrainern und Athleten, wenn es darum geht, Freiräume für den Sport zu schaffen. Gerade im Beachvolleyball türmen sich im Sommer viele Fehlstunden auf. Um sie zu kompensieren, ist Flexibilität gefragt - auch bei den Lehrern. Sie können im Internet in einem "virtuellen Klassenzimmer" Materialien hinterlegen, die von den Schülern nachzuarbeiten sind. Auch Klausuren können notfalls fernab der Schule selbst im Ausland geschrieben werden, sofern die (Bundes-)Trainer sich als Aufsichtspersonen zur Verfügung stellen.

Ihre letzte Biologiearbeit hat Anna Behlen im Trainingslager in der Türkei angefertigt. Die Aufgaben erhielt sie per E-Mail, die ausgefüllten Bögen wurden mit dem Smartphone fotografiert und zurückgesandt. Andere Klausuren hat sie vor- oder nachgeschrieben. Im Englischen bekam sie kurzerhand eine Sonderaufgabe gestellt, weil sie im Unterricht zu selten anwesend war.

An ihrer alten Schule in Kiel seien sie nicht so entgegenkommend gewesen, erzählt Behlen: "Einigen dort habe ich zu oft gefehlt." Vom kurzen Weg zum hochmodernen BeachCenter am Alten Teichweg mit seinen acht Hallen- und sechs Freiluftplätzen ganz abgesehen. Vor zwei Jahren entschied sie sich deshalb, ihrer Freundin Christine Aulenbrock ins Hamburger Sportinternat nach Dulsberg zu folgen.

Mit Aulenbrock, 20, hat Behlen ihren größten Erfolg gefeiert: Gold bei der U18-Europameisterschaft 2009 in Portugal. Bei der WM der U19-Junioren wurde die 1,76 Meter große Abwehrspezialistin 2011 Fünfte, diesmal an der Seite von Anika Krebs. Für diese Saison muss die richtige Partnerin noch gefunden werden, was nicht einfach sei: "Es ist schon wichtig, dass man sich auch sonst gut versteht, schließlich verbringt man viel Zeit miteinander."

Es dürfte eher noch intensiver werden, nun, da die schulische Belastung entfällt und der Studienwunsch noch nicht konkret ist. Anna Behlen kann jetzt morgens länger schlafen und muss nicht mehr um Erlaubnis fragen, ob sie an diesem Training oder jenem Turnier teilnehmen darf. Was bleibt, ist der finanzielle Aufwand: Etwa 5000 Euro koste sie ein Jahr Leistungssport, inklusive Trainingslager, Startgeld, Reisen. Ohne die Unterstützung des Teams Hamburg und der Sporthilfe wäre das nur schwer zu bewältigen, sagt Behlen.

Der Einsatz sei es aber wert. Einen normalen Alltag, wie ihn viele ihrer Mitschüler haben, habe sie sich noch nie vorstellen können: "Der Leistungssport hatte immer Priorität." Wenngleich es manchmal schwerfalle, Freunde und Familie immer wieder zu vertrösten. Dafür hat sie ihrem Vater, einem A-Lizenz-Trainer, und ihrer Mutter, auch sie eine ehemalige Volleyballerin, Karten für das olympische Turnier in London besorgt. Anna Behlen selbst wird nicht mitreisen können, weil sie sich zeitgleich für U20-EM und U21-WM qualifizieren will.

In vier, vielleicht acht Jahren sollen ihre Eltern sie bei Olympia spielen sehen, so hat es Anna Behlen geplant. Spätestens dann wird sie keiner mehr einer anderen Sportart zuordnen.