Eine Woche vor dem EM-Start sollen Löws Sorgenkinder die freien Tage für individuelle Trainingspläne nutzen. Das Grundgerüst steht.

Leipzig. Wahrscheinlich konnte Joachim Löw froh sein, dass am späten Donnerstagabend kein Vertreter des "Guardian" im bis auf den letzten Platz gefüllten Presseraum im siebten Stock der Leipziger RedBull-Arena zu sehen war. Die englische Zeitung hatte den Bundestrainer nach der auch stilistisch perfekten WM in Südafrika in ihre Liste der am besten gekleideten Menschen 2010 aufgenommen, was sie nach dem Testspiel der deutschen Mannschaft gegen Israel zwei Jahre später sicherlich revidiert hätte. Anders als sonst, wenn Löw mit einer perfekt sitzenden Kombination aus Hemd, Hose und gerne auch Schal zu gefallen weiß, war sein Blau-in-Blau-Outfit in Leipzig mindestens so gewöhnungsbedürftig wie der vorangegangene 2:0-Sieg seiner Mannschaft im letzten Test vor der EM. "Ich bin nicht völlig zufrieden, aber ich bin auch nicht in Sorge", sagte Löw, der mit seinen Ausführungen das Spiel und nicht die eigene Klamottenwahl bewertete, "ich bin im Gleichgewicht."

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Eine Woche vor dem EM-Auftakt der deutschen Mannschaft gegen Portugal am 9. Juni in Lwiw hat der adrette Bundestrainer trotz des moderaten Erfolgs gegen Israel tatsächlich wenig Grund, in Torschlusspanik zu verfallen. Löw stellte zufrieden fest, dass die zuletzt so kritisierte Wackelabwehr durch das Bayern-Quartett Neuer/Boateng/Badstuber/Lahm endlich die Stabilität verspricht, die man von einer titelreifen Verteidigung erwartet. "Die Defensive war besser organisiert als gegen die Schweiz", urteilte der 52-Jährige, der seiner gesamten Israel-Startelf, die mit sieben Bayern-Profis garniert war, ein ordentliches Zwischenzeugnis ausstellte: "Auch das Mittelfeld war strukturiert, die Aufgaben wurden insgesamt sehr ordentlich gelöst."

Ganz ohne Hausaufgaben wurde die Klasse von 2012 dann aber doch nicht ins letzte freie Wochenende vor der Europameisterschaft entlassen. Bereits vor dem abschließenden Training am Freitag in Leipzig verteilte Oberlehrer Löw individuelle Trainingspläne für den Sonnabend und Sonntag, die sich besonders ein Sorgenquartett zu Herzen nehmen soll: "Natürlich müssen Mario Götze, Miroslav Klose, Per Mertesacker und Bastian Schweinsteiger ein bisschen mehr als die anderen machen." Insbesondere Letztgenannter, der nach Angaben Löws am Donnerstag erstmals in der EM-Vorbereitung schmerzfrei trainieren konnte, muss die Zeit bis zur Abreise nach Danzig am Montagmittag nutzen. "Bastian muss im läuferischen Bereich am Wochenende arbeiten, damit er möglichst am Montag oder Dienstag ins Mannschaftstraining einsteigen kann."

Einen Freibrief, das machte Löw unmissverständlich deutlich, wird es für einen unfitten Schweinsteiger jedenfalls nicht geben: "Spätestens am Freitag werden wir entscheiden, wer das Spiel gegen Portugal mit vollem Elan und absoluter Power bestreiten kann." Sollte Schweinsteigers lädierte Wade tatsächlich auch in Polen noch streiken, muss sich der Bundestrainer für den gegen Israel enttäuschenden Toni Kroos, den wenig glamourösen Lars Bender oder den ebenfalls noch nicht austrainierten Mario Götze an der Seite Sami Khediras entscheiden. Ein Problem, das Löw einfach mit einer überschwänglichen Eloge auf Khediras Qualitäten vom Tisch fegte: "Auf seiner Position verlange ich, dass man nicht nur Bälle in den Fuß spielt, sondern auch mit Tempo in die Spitze geht. Khedira macht seine Sache klasse."

Nicht ganz so ausgeprägt, aber doch deutlich, lobte der Badener auch den Eifer von Mario Gomez: "Er hat einen sehr ordentlichen Eindruck hinterlassen." Der Münchner konnte durch acht Treffer in den vergangen zehn Länderspielen eindrucksvoll Eigenwerbung betreiben, was Löw nun unter Zugzwang setzt. Entscheidet er sich für den formstarken Gomez oder seinen eigentlich gesetzten Lieblingsschüler Klose, der sich aber nach Oberschenkel- und Rücken- nun auch noch mit Knöchelproblemen quälen muss? Löws salomonische Antwort: "Eines kann ich versichern: Wir werden beide Torjäger benötigen, wenn wir in den nächsten Wochen etwas erreichen wollen."

Wie das Ziel in den kommenden Wochen am besten angegangen werden soll, wollte Deutschlands Fußballchef rund eine Stunde nach Löws Pressekonferenz höchstpersönlich aufzeigen. Es war schon nach Mitternacht, als Wolfgang Niersbach, frisch gewählter DFB-Präsident, es für angebracht hielt, erstmals in seiner Amtszeit zur Mannschaft zu sprechen. Im edlen Hotel The Westin unweit des Leipziger Hauptbahnhofs nutzte Niersbach kurz nach dem Mitternachtssnack die Gelegenheit und bedankte sich für "die großartigen Leistungen der vergangenen Jahre". Anschließend blickte er auf das Ereignis, das in einer Woche Millionen von Sportfans in Deutschland in seinen Bann ziehen wird. "Wir werden nur dann eine erfolgreiche EM spielen, wenn ihr euch als verschworene Gemeinschaft präsentiert", sagte Niersbach zum Ende seiner Zehn-Minuten-Rede. Denn in Polen und in der Ukraine, da besteht Konsens, soll mehr als nur der Titel des bestangezogenen Trainers erreicht werden.